Jungwählende zwischen Grüne und FDP

Als am Abend des 26. Septembers 2021 die ersten offiziellen Hochrechnungen für den Ausgang der Bundestagswahl veröffentlicht wurden, war bei vielen die Überraschung groß. FDP und Grüne waren bei den Erst- und Jungwählenden mit Abstand die beliebtesten Parteien. Kurzzeitig schien die FDP sogar die stärkste Partei in dieser Altersgruppe geworden zu sein, letztendlich lagen jedoch beide gleich auf. Woran liegt das? Was bewegt junge Menschen, gerade einer dieser zwei Parteien ihre Stimme zu geben? Was ist ihre Motivation sich dort zu engagieren? Und wie stehen sie zu der jeweils anderen Partei? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, haben wir uns in Berlin auf der Straße umgehört und mit Lotte von den JuLis und Florian von der Grünen Jugend gesprochen. 

Von Flavia Renata Silva Cunha, Adrian Königer, Michael Klotz und Marek Walde

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Charlotte, die von allen nur Lotte genannt wird, wohnt seit anderthalb Jahren in Berlin, wo sie Publizistik- & Kommunikationswissenschaften und BWL im Nebenfach an der Freien Universität Berlin studiert. Angefangen sich wirklich für Politik zu interessieren hat die 19-Jährige im Zuge der Bundestagswahl 2017 als in ihrer Schule die verschiedenen Parteiprogramme vorgestellt wurden. Kurz darauf ist sie dem lokalen Ortsverband der JuLis beigetreten, dort hat sie sich gleich wohlgefühlt und ziemlich schnell gemerkt, ok, ich glaube, das ist ein Match”: Die Grundgedanken, die da vertreten werden, stimmen mit meinen überein. Freiheit ist für mich wirklich ein sehr, sehr wichtiger Wert, auch wenn das Wort ‚Freiheit‘ in den letzten Jahren ein bisschen missbraucht wurde, leider.“

„Auch Vertrauen gegenüber jedem einzelnen Menschen, finde ich einfach sehr wichtig, weil ich glaube, dass jeder das Zeug hat, sein Leben in die Hand zu nehmen. Denjenigen, die das nicht können, hilft man natürlich dabei.“ 

Florian ist 21, studiert Jura in Berlin und engagiert sich für die Grüne Jugend in Tempelhof-Schönefeld. Seit Ende des vergangenen Jahres ist er einer von drei Sprecher*innen des Ortsvereins, obwohl er noch nicht sehr lange mit dabei ist. „Ich habe mich schon seit meiner Kindheit für Politik interessiert und wir haben Zuhause auch immer viel über alle Themen diskutiert.“ 

Auf dem Foto ist Florian zu sehen, der ein Werbeplakat für die Grünen in den Händel hält.

Doch eine politische Heimat hatte er lange nicht. „Ich habe einige Zeit überlegt, in die FDP einzutreten, weil sich die Wirtschaftspolitik für mich als Siebtklässler sinnvoll anhörte. Dann war ich in der zehnten Klasse für ein Jahr in den USA und habe gemerkt, was ungebremster Kapitalismus alles anrichten kann. Das hat ein Umdenken bewirkt und ich habe mich sehr für die SPD interessiert. Aber auch die passte für mich nicht 100 Prozent. Mit der Bewegung Fridays for Future ist dann mein Interesse für die Grünen gestiegen.“ In seinem damaligen Heimatort gab es jedoch zu diesem Zeitpunkt keine Grüne Jugend und Florian blieb zunächst parteilos. Das änderte sich schlagartig am 6. Januar 2021 mit dem Sturm auf das US-Kapitol in Washington D.C.: „Das war für mich der ausschlaggebende Punkt, weil ich überzeugter Demokrat bin und mich für die Demokratie engagieren will. Der beste Schutz für die Demokratie ist, wenn sich möglichst viele Menschen einbringen. Ich habe direkt an dem Abend einen Online-Mitgliedsantrag bei den Grünen ausgefüllt und wurde daraufhin zu einem ersten Treffen eingeladen.“ 

Auf unsere Frage hin, ob der Ausgang der Bundestagswahl 2021 die beiden überrascht hat, antwortet Florian, der Wahlausgang kam für ihn nicht überraschend. Er hatte zwar gehofft, dass die Grünen stärkste Kraft werden, aber hat vor der Wahl gemerkt, dass die Kritik der CDU an der Spitzenkandidatin bei den Menschen verfängt. „In der Presse wurde der Dreikampf zwischen Union, SPD und den Grünen inszeniert. Aber wir haben viel weniger Mitglieder. Deswegen bin ich sehr stolz, dass wir das beste Ergebnis der Geschichte erreicht haben!“ Auch Lotte hat das Gesamtergebnis so erwartet, besonders freut sie aber, dass es ihrer Partei gelungen war, die meisten Erstwählenden zu überzeugen. „Das habe ich nicht erwartet. Wenn man junge Leute auf der Straße anspricht, dann wählen die meistens Grüne, Linke oder SPD. In meinem Umfeld, außerhalb von denen, die ich in der Partei kennenglernt habe, sind auch keine Liberalen. Deswegen war ich wirklich positiv überrascht.“

 Florian hingegen hat das FDP-Ergebnis bei den Erstwählenden eher negativ aufgenommen: „Die FDP steht oft sehr nah an alten Wirtschaftsverbänden. Ich merke in meiner Generation eine Aufbruchsstimmung, weil viele sich nicht mehr ein Leben vorstellen können, das bei unseren Eltern völlig normal war.“ Die FDP steht für ihn für ein Weiter so: „Ich bezeichne die FDP oft als Lobbygruppe für alte, reiche Menschen und verstehe nicht, warum man das als junger Mensch unterstützt.“ Entschiedener Widerspruch kommt von Lotte, die von einem Besuch Christian Lindners in ihrer Heimatstadt in Sachsen-Anhalt berichtet. Dem Auftritt auf dem lokalen Marktplatz um 12 Uhr hätten viele Bürger*innen zugehört, die der Beschreibung von Florian nicht entsprechen.  „Danach habe ich mitbekommen, wie ein Drittel der 30 Menschen zu ihm gekommen sind und gesagt haben: ‚Sie haben mich heute so überzeugt, ich wähle jetzt FDP‘. Man sieht also, wir sprechen nicht nur Reiche an.

Auf unsere Frage hin, ob der Ausgang der Bundestagswahl 2021 die beiden überrascht hat, antwortet Florian, der Wahlausgang kam für ihn nicht überraschend. Er hatte zwar gehofft, dass die Grünen stärkste Kraft werden, aber hat vor der Wahl gemerkt, dass die Kritik der CDU an der Spitzenkandidatin bei den Menschen verfängt. „In der Presse wurde der Dreikampf zwischen Union, SPD und den Grünen inszeniert. Aber wir haben viel weniger Mitglieder. Deswegen bin ich sehr stolz, dass wir das beste Ergebnis der Geschichte erreicht haben!“ Auch Lotte hat das Gesamtergebnis so erwartet, besonders freut sie aber, dass es ihrer Partei gelungen war, die meisten Erstwählenden zu überzeugen. „Das habe ich nicht erwartet. Wenn man junge Leute auf der Straße anspricht, dann wählen die meistens Grüne, Linke oder SPD. In meinem Umfeld, außerhalb von denen, die ich in der Partei kennenglernt habe, sind auch keine Liberalen. Deswegen war ich wirklich positiv überrascht.“ Florian hingegen hat das FDP-Ergebnis bei den Erstwählenden eher negativ aufgenommen: „Die FDP steht oft sehr nah an alten Wirtschaftsverbänden. Ich merke in meiner Generation eine Aufbruchsstimmung, weil viele sich nicht mehr ein Leben vorstellen können, das bei unseren Eltern völlig normal war.“ Die FDP steht für ihn für ein Weiter so: „Ich bezeichne die FDP oft als Lobbygruppe für alte, reiche Menschen und verstehe nicht, warum man das als junger Mensch unterstützt.“ Entschiedener Widerspruch kommt von Lotte, die von einem Besuch Christian Lindners in ihrer Heimatstadt in Sachsen-Anhalt berichtet. Dem Auftritt auf dem lokalen Marktplatz um 12 Uhr hätten viele Bürger*innen zugehört, die der Beschreibung von Florian nicht entsprechen.  „Danach habe ich mitbekommen, wie ein Drittel der 30 Menschen zu ihm gekommen sind und gesagt haben: ‚Sie haben mich heute so überzeugt, ich wähle jetzt FDP‘. Man sieht also, wir sprechen nicht nur Reiche an.

Mit Blick auf die Parteien als Ganzes, sieht Florian die Grünen als guten Gegenpart zur FDP: „Die FDP hat oft gute Ideen, für die es aber Technologien braucht, die die Menschheit in 500 Jahren noch nicht haben wird. Die Grünen sind viel basisdemokratischer organisiert und damit viel praxisnäher am Leben dran.“ Lotte hingegen hat einen anderen Standpunkt. Ihrer Ansicht nach ist die FDP eine lebensnahe Partei, in der viele Stimmen und Strömungen zu Wort kommen. Von den Grünen hat sie den Eindruck, dass diese teilweise intoleranter gegenüber anderen politischen Meinungen sind. Durch ein sehr offensives Auftreten der Grünen bei vielen Punkten, behauptet sie, fällt es nicht allen Menschen leicht, mit ihren eigenen Positionen dagegen zu halten. „Das könnte auch ein Grund dafür sein, warum man das nicht auf dem Schirm hatte, dass junge Leute FDP wählen.“ 

Die Grün Wählenden Natan und Max reden über die möglichen Konflikte der kommenden Koalition

Trotz aller Unterschiede sieht Charlotte auch Gemeinsamkeiten, wenn es um gesellschaftliche Themen geht. „§ 219a [StGB, Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche] abschaffen, Cannabis legalisieren, LGBTQI-Rechte verfechten und einhalten, Frauenförderung, Toleranz gegenüber anderen Kulturen, das sind ja alles Punkte, die sind total verbindend.” Dies sind ihrer Auffassung nach alles Themen, die der Jugend wichtig sind. Dem schließt sich Florian an: „Bei progressiver Gesellschaftspolitik sehe ich beide Parteien in der Vorreiterrolle.“  Auch in den Themengebieten Bildung und Europa sieht Lotte Gemeinsamkeiten.

Durch die guten Ergebnisse beider Parteien kam zum ersten Mal die sogenannte Ampelkoalition” auf Bundesebene zustande, ein Dreierbündnis bestehend aus SPD, FDP und Grünen. Natürlich interessiert uns deshalb, wie Florian und Lotte das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen wahrnehmen. Florian ist damit eigentlich ganz zufrieden, vorausgesetzt der Koalitionsvertrag wird tatsächlich so umgesetzt. “Natürlich wird die Koalition kein Selbstläufer, aber es sind viele kompetente Politiker dabei und ich bin optimistisch.“ In Bezug auf die Verteilung der Ressorts ist er sehr froh, dass Annalena Baerbock Außenministerin geworden ist. Die viel diskutierte Besetzung des Verkehrsressorts sieht er gelassen: „Die FDP hat manchmal gute und innovative Ideen und ich hoffe, dass sie die im Verkehrsministerium haben werden.“ Trotzdem ist, laut ihm, damit die Chance vergeben worden, über eine echte Verkehrswende zu sprechen. Die Unzufriedenheit der Grün Wählenden über die Vergabe des Verkehrsministeriums an die FDP ist auch Charlotte aufgefallen. Darauf angesprochen wirft sie ein: „Auch Volker Wissing muss sich an den Koalitionsvertrag halten, den die Grünen mitunterzeichnet haben. Nur weil wir das Auto mit Verbrennungsmotor nicht bis 2030 verbieten wollen, was für manche einfach unzumutbar ist, heißt das nicht, dass wir die komplette Verkehrspolitik ins unermessliche liberalisieren.“ Es wird deutlich, dass beiden Parteien der Aufbau einer nachhaltigen Verkehrsinfrastruktur sehr wichtig ist, sie sich aber darin unterscheiden, wie sie dies konkret erreichen möchten. Angesprochen auf die Streitfrage Tempolimit, kann die Junge Liberale sich jedoch einen kleinen Seitenhieb nicht verkneifen: „Man kann ja auch mit dem E-Auto über 130 fahren.

Die Grün Wählenden Rebecca, Eduard und Max sagen ihre Meinung zur Vergabe des Verkehrsministeriums

Schnelle Autos? Das klingt dann doch sehr nach Standard FDP-Klischee. Fragt man die beiden nach Stereotypen, die ihnen bei der jeweils anderen Partei in den Kopf kommen, verrät Florian schmunzelnd: „Alte, weiße Männer mit drei Firmen, fünf Häusern und zwei Porsches in der Garage.“ 
 „Ich kenne super viele JuLis, die Arbeiterkinder sind oder aus schlechten Verhältnissen kommen, einen schlechten Bildungsweg hatten, die sich aber hochgearbeitet haben“, entgegnet Lotte. Durch diese Perspektiven könnte es der FDP gelingen, die sozialen Probleme im Land anzugehen und Menschen aus ärmeren Haushalten zu fördern. Die Vorurteile gegenüber der FDP sind ihrer Meinung nach nicht mehr zeitgemäß. Zu unserer Frage fallen Lotte spontan die SUV-fahrenden Grünenwählerin und die überzeugte Öko-Veganerin ein. Gleich danach fügt sie aber hinzu: „Klischees sind natürlich immer zu einem gewissen Teil wahr, aber sie stehen halt nie für eine ganze Partei. Und das ist auch bei den Grünen so.“  

Rund vier Monate nach der Wahl regiert die Ampelkoalition bereits seit einigen Wochen. Florian und Charlotte sind weiterhin hoffnungsvoll gestimmt. Bei beiden scheint es einen klaren Willen zu geben, die Gemeinsamkeiten zu nutzen und sich durch unterschiedliche Herangehensweisen zu ergänzen. Damit sind sie ein gutes Beispiel für den gemeinsamen Weg, den ihre Parteien gehen wollen. Im Endeffekt war es wohl der Innovationsanspruch und der Wille Deutschland auf neuen Wegen in die Zukunft zu führen, der Jung- und Erstwählende überzeugt hat, ihr Kreuz bei der FDP oder den Grünen zu setzen. Trotz – oder vielleicht sogar gerade wegen – der Unterschiede und dem daraus resultierenden Konfliktpotenzial, dürfen wir weiterhin gespannt bleiben, wie viele ihrer Ideen die beiden Parteien am Ende tatsächlich umsetzen werden können.  

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