Digitale Museen

Menschen, die ein Museum besuchen
"Hipstamatic -- museum interior" by patrick_thibodeau

Mehr Notwendigkeit als Bedrohung

Keine Ausstellung oder die digitale Ausstellung – das war die Wahl die Künstler*innen und Kurator*innen am vorläufigen Höhepunkt der Coronavirus-Krise treffen mussten. In der digitalen Lösung sehen viele nicht bloß einen Notbehelf.

Katharina Heflik, Anna Schwarz, Sarah Seyboldt, Pricilla Tekbas

Foto: cottonbro von Pexels

Hannah Arendt spricht gerade von dem Wagnis als man die Tür zu der Ausstellung im Deutschen Historischen Museum öffnet. Ein Wagnis könnte man es auch nennen überhaupt hier zu sein. Denn aktuell ist der öffentliche Raum eine Gefahr für sich. Mit jedem Mal den man ihn betritt, setzt man sich der Möglichkeit aus, sich mit einem tödlichen Virus zu infizieren. Daran hat Hannah Arendt sicherlich nicht gedacht, als sie im Gespräch mit Günther Gaus über das Wagnis sprach.

Der Ausschnitt aus dem etwa einstündigen Interview, Briefe, Artikel und sogar den Schmuck Hannah Arendts wird derzeit im Deutschen Historischen Museum gezeigt. Über zwei Stockwerke wird Leben und Schaffen der politischen Theoretikerin ausgestellt – seit die Coronamaßnahmen für Museen gelockert wurden und nicht, wie in prä-pandemischen Zeiten geplant, seit dem 27. März 2020. Anfang Mai durften die Berliner Museen wieder ihre Türen öffnen, solange sie sich an die Sicherheitsvorkehrungen und Hygieneauflagen halten:

1,5 Meter Abstand müssen eingehalten werden, so steht es auch im Deutschen Historischen Museum auf dem Boden geschrieben. Das Tragen einer Maske und die Onlinereservierung eines Tickets sind Pflicht. In den Ausstellungsräumen werden Hygienetücher und Desinfektionsmittel angeboten. Kleinen Audio-Erker in denen Briefe Arendts vorgelesen werden – natürlich mit der Pause für den arendtschen Zug an der Zigarette – dürfen maximal von einer Person belegt werden.

Fotos: Katharina Heflik

Die Ausstellung zu Hannah Arendt wurde einfach nach hinten verschoben und an die neusten Vorschriften angepasst. Anders hat es die Kulturprojekte Berlin GmbH gehandhabt. Die Ausstellung „75 Jahre Kriegsende“ wurde kurzerhand digitalisiert. Eine finanzielle und zeitliche Herausforderung, berichtet Dr. Björn Weigel, der wissenschaftliche Leiter des Projektes. Aber das virtuelle Konzept habe auch einige Vorteile gehabt. Weder von behördlichen Genehmigungen noch von materiellen Dingen war man abhängig und das Projekt konnte sehr frei gestaltet werden, so Weigel.

Ein Screenshot der Startseite von "75 Jahre Kriegsende"
Foto: Sarah Seyboldt

Den Anlass der Ausstellung verrät schon ihr Titel: „75 Jahre Kriegsende“. Gezeigt werden die Ereignisse in dem von Bomben zerstörten Berlin um den 8. Mai 1945, als die deutsche Wehrmacht kapitulierte. Schwarz-Weiß Aufnahmen von jubelnden Soldaten sind das Erste was zu sehen ist, wenn man die digitale Ausstellung aufruft. Im Vordergrund ein türkisfarbener „Start“-Button, darunter die Anmerkung „Ton anschalten, um tiefer einzutauchen“. Mit dem Klick auf „Start“ landet man vor dem Reichstag. Von dort aus kann man per drag-and-drop durch die 360 Grad Sphäre reisen. 

Drei weitere Orte können am Laptop im Mai 1945 besucht werden: Das Brandenburger Tor, der Alexanderplatz und das ehemalige Konzentrationslager Sachsenhausen. Die Szenen vor 75 Jahren sind eingebettet in aktuelle Aufnahmen der Orte, an denen sie sich abgespielt haben. So sieht man eine Gruppe Arbeiterinnen aus dem Jahr des Kriegsendes vor dem heutigen Saturn auf dem Alexanderplatz tanzen.

Neben den Bildern werden Zusatzinformationen angeboten und in manchen Fällen auch Audio-Elemente. Mit Blick auf das Brandenburger Tor, erläutert ein Sprecher die Einnahme Berlins durch die Alliierten.

© Kulturprojekte Berlin, Foto Melanie Sapina


Ich sehe da überhaupt keine Gefahr, ich sehe da eine ganz wunderbare Ergänzung.

Die Frage ob die Digitalisierung von Ausstellungen eine Bedrohung für die Museen darstellt, verneint der wissenschaftliche Leiter Weigel.

Man könne eine neue Zielgruppe erreichen, neue Zugänge schaffen. Zu denken, eine reale Ausstellung könne durch digitale Angebote ersetzt werden, diesen Fehler sollte man nicht machen, betont Weigel: „Ersetzt ein Zoom-Meeting ein Gespräch mit echten Menschen, ersetzt eine virtuelle Kneipe eine richtige Kneipe?“

Die Aura spiele aber eine große Rolle für die Kunst. Die ist eine andere in der digitalen Welt. Es fehlen die Gerüche, es fehlt die reale Geräuschkulisse und es fehlt die greifbare Kunst. Manche Inhalte lassen sich nun mal virtuell hervorragend darstellen, während andere lediglich im realen Raum ihre volle Wirkung entfalten können.

Digitale Angebote dienen als Erweiterung und Ergänzung“, sagt auch Andrea Geipel, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungsinstitut für Technik und Wissenschaftsgeschichte am Deutschen Museum in München. Die Coronavirus-Krise könnte einige Prozesse zur Digitalisierung der Museen beschleunigen, so Geipel. Dass digitale Angebote immer noch als Ersatz diskutiert würden, sei ein Problem. „Denkt man digitale Angebote, wie digitale Ausstellungen, als Ersatz, landet man oft in der Sackgasse, digital gegen analog zu vergleichen.“

Besser wäre, so Geipel, die Qualität digitaler Angebote im Kontext digitaler Angebote generell zu diskutieren.“ Erst so sei es möglich, digitale Ausstellungen auch weiter zu denken – „also, ermöglicht die Digitalisierung, was analog nicht möglich wäre?“.

Ob man mit digitalen Angeboten ein anderes oder größeres Publikum erreiche, hänge von der Umsetzung ab. „Digitale Museumsangebote eröffnen neue und erweiterte Zugänge zu Ausstellungsinhalten.“, sagt Geipel. Sie könnten Zugänge schaffen für Menschen, die nicht ins Museum kommen könnten, weil sie beispielsweise zu weit weg wohnen oder aufgrund körperlicher oder psychischer Einschränkungen das Museum nicht besuchen können.

Doch die Umsetzung scheitert vielerorts. Oft, so sagt Stefan Rohde-Enslin vom Berliner Institut für Museumsforschung, sei nicht das notwendige soft- und hardware-technische Know-how vorhanden. Rohde-Enslin ist am Institut für Museumsforschung für den Bereich Digitalisierung zuständig und betreibt ehrenamtlich das Projekt museum-digital.de mit. In der Digitalisierung der Museen sieht er keine Bedrohung für das klassische Museum, sondern eine Notwendigkeit: „Wenn die Kommunikation in der Gesellschaft und der Alltag ihrer Mitglieder zunehmend digital wird, dann muss es auch die Institution Museum werden.“

Wir brauchen das klassische Museum in seiner facettenreichen Erscheinungsform

Wie auch Weigel vom Projekt „75 Jahre Kriegsende“, sieht er in digitalen Ausstellungsformaten nicht das Ende der Museen. Das eine könne das andere nicht ersetzen: „Wir brauchen das klassische Museum in seiner facettenreichen Erscheinungsform, als Ort des Bewahrens, der Forschung, der Bildung, der Vermittlung. Viele Einzelaspekte lassen sich digital transformieren, viele aber eben nicht.“, sagt Rohde-Enslin.

Die Angst davor, dass das analoge Museum ersetzt werden könnte, breitet auch Geipel Sorge. Die Menschen müssten umdenken, damit sich das digitalisierte Museum entwickeln kann. Allerdings fehle es neben dem offenen Mindset auch an den Strukturen, „um auch langfristig und nachhaltig digitale Angebote zu gestalten.“

Die Projektgruppe um „75 Jahre Kriegsende“ ist die digitale Umsetzung gelungen. Allerdings lässt sich als Betrachter*in schnell die Achillessehne die Online-Ausstellung festmachen: Nach einer Weile schwindet die Konzentration. Und anders als bei der Ausstellung im Deutschen Historischen Museum, in der man Hannah Arendt und den Exponaten bis zum Ausgang und somit zum kuratierten Ende der Ausstellung nicht aus dem Weg gehen kann, kann man einfach den Tab schließen und den Laptop zuklappen und die Ausstellung für beendet erklären.

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