„Ich hoffe der Wahnsinn hört bald auf“

Foto: privat

Was sich seit dem Krieg in der Ukraine im Podcast „Njette Mädchen“ und dem Leben der Russ*innen in Deutschland verändert hat.

Viktoria Merkulova arbeitete während ihres Bachelors in Kommunikationsdesign als Kabelassistentin beim ZDF und kam dort das erste Mal mit der Redaktionsarbeit in Berührung. Heute ist sie Journalistin und Moderatorin beim SWR sowie Podcast-Host von „Njette Mädchen“, den sie zusammen mit Walerija Petrowa führt.  Zudem teilen sie beide einen Migrationshintergrund, der Hauptthema in ihrem Podcast ist. Die heute 30-Jährige ist mit elf Jahren zusammen mit ihren Eltern und ihrem Bruder aus Russland nach Deutschland ausgewandert. Schon damals beschäftigte sie sich viel mit ihren Wurzeln und der Identitätsfrage. Nun stellt sich seit dem russischen Angriff auf die Ukraine erneut, vor allem für viele junge Menschen mit russischen Wurzeln die Frage, was für sie Begriffe wie Heimat und Herkunft bedeuten .

Ihr zwei seid Podcast-Host von „Njette Mädchen“ – was hat euch damals motiviert mit einem Podcast, in dem die russische Sprache und Kultur thematisiert wird, anzufangen?

Vor vier Jahren lernten Walerija und ich uns auf der Arbeit bei „DASDING“ kennen. Wir freundeten uns an und wussten beide von unserer Herkunft, da wir fast die einzigen Russ*innen unter unseren Kolleg*innen waren. Über die Jahre hinweg gab es immer mal wieder Situationen, in denen uns Gemeinsamkeiten, aufgrund unseres Migrationshintergrundes auffielen, doch wir sprachen nie über unsere Wurzeln. Schon damals, als ich mit elf Jahren nach Deutschland kam, hatte ich das Gefühl, mir würde eine Plattform zum Austausch über das „Russisch-sein“ fehlen. Menschen, mit denen ich über das Gefühl „anders“ zu sein, meine Herkunft und die Erfahrungen über das Ausleben von zugleich zwei Kulturen in Deutschland sprechen wollte. Es ist ein großer Unterscheid mit deinen Eltern oder mit einer Person aus derselben Generation über deine Eindrücke und Gefühle zu reden. Im Sommer letzten Jahres schlug ich Walerija schließlich vor, genauso eine Plattform für die russische Community zu bieten und mittels eines Podcasts darüber zu reden. Wir wussten beide sofort, dass wir es machen müssen. Wir wollen der russischsprachigen Community Gehör verschaffen.

 

Wer genau ist eure Community und wen möchtet ihr mit eurem Podcast erreichen?

Uns war es besonders wichtig, junge Leute zu erreichen. Personen, die sich mit der Identitätsfrage beschäftigen, die vielleicht nicht wissen, was Heimat bedeutet, da sie noch nie das Gefühl von Zugehörigkeit empfunden haben. Zudem all die Menschen, die in ein anderes Land ausgewandert sind und natürlich all die russischsprachigen Menschen. Dabei wollen wir nicht nur die Russ*innen erreichen, sondern den Blick auf die ganze russische Community  öffnen. Dazu gehören all die Länder, die damals Teil der alten Sowjet Union waren. Viele sind sich dessen gar nicht so bewusst, jedoch sprechen deutlich mehr Menschen russisch als nur russischstämmige selbst es sind. Dazu gehören wahnsinnig spannende Kulturen und das macht die Community so groß und vielfältig.

Seit dem 24. Februar 2022 herrscht Krieg innerhalb der Ukraine, die ebenso Teil eurer Community ist. Was hat sich seitdem in eurem Podcast verändert?

Erst durch diesen tragischen Anlass haben wir nun sehr viel über die ukrainische Kultur kennengelernt. Wir hätten es lieber ohne diesen Kontext schon früher erfahren. Von unserer Community erreichen uns   seitdem immer mehr Nachrichten über das Thema, dadurch sehen wir, dass das Interesse zum Austausch groß ist. Zudem bemerken wir, dass uns besonders die ukrainischen Hörer*innen unter ihnen nun vermehrt als zuvor schreiben, um uns und all die, die unseren Podcast hören über ihre Kultur aufzuklären, ihr Empfinden in diesen Zeiten und Erfahrungen zu informieren. Zuvor haben wir eher locker und witzig über die russische Kultur, das Essen oder Aberglauben geredet. Seit dem 24. Februar hat sich etwas in unserem Podcast verändert. Wir haben gemerkt, wir müssen jetzt politischer werden. Unsere lockere und witzige Art wollen wir dabei nicht verlieren, jedoch tauschen wir uns nun aktiver mit Expert*innen aus Fachredaktionen aus oder holen uns Meinungen von Auslandskorrespondent*innen mit ein. Der Krieg hängt über uns allen wie eine dunkle Wolke, deshalb versuchen wir in diesen schweren Zeiten den Leuten, unserer Community, egal ob ukrainisch  oder russisch, Halt zu geben. Wir werden sie weiterhin informieren und eine Plattform zum Austausch über Probleme innerhalb der Familie, Erlebtes und Ängste in Bezug auf den Konflikt bieten, doch zugleich nicht die schönen Seiten der verschiedensten Kulturen und was uns alle verbindet, außer Acht lassen. 

Was hat sich deiner Meinung nach für das Leben von Russ*innen in Deutschland seitdem verändert?

Um genauer zu beschreiben, was sich seitdem verändert hat, müsste man sich vermutlich genauere Statistiken zu dem Thema anschauen und langfristigere Untersuchungen anstellen. Bis jetzt ist es noch schwer zu sagen, wie sich im Allgemeinen das Leben verändert hat. Dazu könnte lediglich von einzelnen Beispielen erzählt werden.  Jedoch sehe ich wie vor allem in diesen schweren Zeiten der Zusammenhalt zwischen der russischen und der ukrainischen Community gewachsen ist, indem sie sich gegenseitig Kraft und Hilfe schenken.  Sie nehmen Menschen bei sich auf, senden Hilfspakete oder fahren sogar selbst an die Grenzen, um Geflüchtete zu empfangen.

Ukrainer*innen und Russ*innen mit Familie in Russland berichten, dass eigene Familienangehörige eher der Propaganda glauben als ihnen selbst. Was bedeutet das für diese Familien?

Zum einen bedeutet dies oft eine Spaltung innerhalb der Familie. Vor allem junge Leute erleben zurzeit diesen extremen Generationskonflikt und stecken in einer Identitätskrise. Die Älteren oder Menschen, die seit Jahren oder Jahrzehnten das russische Staatsfernsehen schauen, haben eine bestimmte Meinung zu Putin und seiner Politik, gegenüber dem Kreml und dem Westen als auch der ganzen restlichen Welt vermittelt bekommen. Sobald du dies über Jahre hinweg schaust und sogar manchmal nichts anderes, fangen die Leute an, es zu glauben. Die jüngere Generation hingegen ist viel besser vernetzt, spricht oftmals mehrere Sprachen, sie haben soziale Medien und somit die Möglichkeit, sich anderweitig zu informieren. Für sie ist es derzeit besonders schwierig, mit ihren Familien über den Krieg zu sprechen. Ich denke, es ist zudem ein Teil der russischen Mentalität das Thema Politik in den Hintergrund zu rücken und negative Dinge nicht innerhalb der Familie zu klären. Dabei ist es vor allem für sie so wichtig über diese Dinge zu sprechen, da sie eine prägende Rolle bezüglich ihrer Identität spielen. Aus diesem Grund wird das Thema oftmals mit Scham behaftet behandelt, wenn ein Großteil deiner Familie pro Putin ist und sein Vorhaben unterstützen, du jedoch nicht. Innerhalb deiner Familie fühlst du dich plötzlich wie ein Einzelgänger und nach außen hin möchtest du deine Wurzeln lieber verstecken, um in der deutschen Gesellschaft nicht ausgeschlossen zu werden.

Welche Möglichkeiten gibt es mit Menschen zu sprechen, die pro Putin sind und bei denen die russische Staatspropaganda seit Jahren tief verankert ist?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten mit solchen Menschen umzugehen. Auf der einen Seite kannst du es ignorieren und deine Familie reden lassen. Mit dem Hinwegsehen wird sich jedoch nichts an deiner Situation verändern. Auf der anderen Seite kannst du versuchen mit ihnen in den Diskurs zu tretten. Viele verzweifeln dabei, da sie sich sehr emotional in die Konversation reinsteigern und ihr Gegenüber überfordern. Mein Tipp wäre es ruhig und sensibel an die Sache heranzugehen. Zudem sollten statt Zahlen und Fakten, lieber echte Geschichten  erzählt werden. Damit berührst du die Menschen viel mehr. Jedoch solltest du dich selbst nie außer Acht lassen, da der Prozess des Überzeugens mühselig ist und einem auf Dauer die Energie rauben kann. Doch es ist möglich, selbst wenn sich mit jedem Gespräch lediglich ein kleiner Fortschritt verzeichnet.

Was wünscht du dir zurzeit für die Zukunft der russischsprachigen Community?

Meine persönliche Hoffnung ist, dass sich die ukrainische und russische Gemeinschaft in Zukunft nicht voneinander trennen, sondern aus den Konsequenzen nun umso mehr nach Zusammenhalt und Frieden streben werden. Es wird nicht leicht, doch es ist möglich. Ich hoffe sehr, dass der Wahnsinn bald aufhört und wir am Ende mit einer stärkeren Geschlossenheit daraus gehen können. 

von Anja Peters 

Anja Peters

Anja Peters