Fotos der Ausstellung. Auf dem präsentesten Foto ist ein Fahrradfahrer, der an der Villa Arning vorbeifährt, zu erkennen.

Verdrängte Geschichte

Wer einmal einen Tag durch Hannover flaniert, kommt nicht drumherum, an ein paar kolonialen Denkmälern vorbei zu spazieren. Das Carl-Peters-Denkmal, das Afrika-Viertel und die Villa Arning haben eines gemeinsam: Sie bringen die Zeit von 1884 bis 1918 ins Hier und Jetzt. In diesem Zeitraum besaß das Deutsche Reich Kolonien in Afrika und Asien. “HannoverKolonial”, ein studentisches Projekt der Leibniz Universität Hannover, hat es sich zur Aufgabe gemacht, koloniale Spuren der Stadt fotografisch festzuhalten und aufzuarbeiten.

“Was geschah in meiner Stadt? Was ist davon heute noch zu sehen, welche Akteur*innen gab es und was hat das Ganze mit mir zu tun?“ – Diesen Fragen werden in der unteren Etage des Zeitzentrums Zivilcourage in Hannover angeregt und beantwortet. Hier strotzt es nur so von Erinnerungsstücken an die deutsche Kolonialzeit. Seit März 2023 können sich Besucher*innen dort die Ausstellung “HannoverKolonial” anschauen. Hannovers roter Faden führt durch die Ausstellung, von einem kolonialen Erinnerungsort zum nächsten. An den Wänden hängen Bilder vom Waldersee-Denkmal und dem Zoo Hannover. Ein Stadtplan am Boden des Ausstellungsraums zeigt, an wie vielen Orten mit Kolonial-Kontext die Hannoveraner*innen tagtäglich vorbeilaufen. Einige Orte sind bekannt, etwa das Carl-Peters-Denkmal oder eben das Waldersee-Denkmal. Andere, wie der Trammplatz oder die Villa Arning, bringen die meisten nicht direkt mit der Kolonialgeschichte in Verbindung.

 

Dabei gibt es einiges zu erzählen über die Zeit von 1884 bis 1918. In dieser Zeit eroberten Deutsche Teile Afrikas und Asiens. Diese erklärten sie zu deutschen Kolonien. Nach dieser Hochphase des Imperialismus ehrten andere Menschen die Kolonial-Akteure für ihre Verdienste. 

Der Hänge-Peter

Der vielleicht präsenteste Kolonial-Akteur Hannovers heißt Carl Peters. Er lebte seit seiner Geburt 1856 bis zu seinem Tod 1918 immer wieder in Hannover. Gemeinsam mit Felix von Behr-Bandelin gründete er 1884 die “Gesellschaft für deutsche Kolonisation” (GfdK). Sie hatte zum Ziel, deutsche Landwirtschafts- und Handelskolonien zu errichten. Später wurde GfdK nach ihrem Wirkungsgebiet in “Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft” umbenannt. Noch im selben Jahr machte Carl Peters sich auf nach Ostafrika und eroberte Teile des Kontinents. 

“Besonders war, dass er auf eigene Faust losgezogen ist“, erklärt Dr. Otto. “Unter fragwürdigen Bedingungen schloss er in Ostafrika Verträge mit lokalen Machthabern ab, ohne ein Mandat inne zu haben oder zu fragen, ob die Menschen, mit denen er Verträge schloss, eines hatten.” Er legte damit den Grundstein der deutschen Kolonie in dieser Region. Später ernannte Otto von Bismarck ihn zum Reichskommissar. Allerdings wurde er bereits sechs Jahre später, 1897, aufgrund seiner – selbst für damalige Verhältnisse – überdurchschnittlichen Brutalität unehrenhaft aus dem Dienst entlassen. Heute gibt uns noch sein Spitzname “Hänge-Peter”, einen Eindruck davon, wie er mit den Menschen umging.

Carl Peters: Zwischen Ehrung und Verachtung

1916 wurde unter dem Hannoveraner Stadtdirektor Heinrich Tramm in der Südstadt ein Platz errichtet. Die Stadt taufte diesen zu Ehren des Kolonialherren „Carl-Peters-Platz“. Aber damit noch nicht genug, nach der nationalsozialistischen Machtübergabe 1933, also etwa 15 Jahre nach dessen Tod, setzten sich Peters Freunde für ein Ehrendenkmal ein. Die Idee fand Anklang, ab 1935 prangte auf dem Platz ein großer steinerner Block. Finanziert wurde dieser größtenteils von der Stadt Hannover. Einen kleineren Teil gab die Gesellschaft für deutsche Kolonisation dazu. Auf dem Carl-Peters-Denkmal zu erkennen sind die Umrisse des Kontinents Afrika, darüber ein überproportionaler Reichsadler. Darunter stand neben Peters Namen „Dem großen Niedersachsen Carl Peters, der Deutsch-Ostafrika für uns erwarb”.

1988 wurde nach mehreren Jahren Protest und dem Engagement einer Bürgerinitiative eine Mahntafel angebracht. Diese überdeckt die Aufschrift auf dem Monument. Sechs Jahre später wurde der Platz in Bertha-von-Suttner-Platz umbenannt. Otto ist selbst nach jahrelanger Auseinandersetzung mit dem Thema immer noch überrascht, wie aktiv die Stadt Hannover war, wenn es um Kolonial-Ehrungen in der Nachkriegszeit ging. “Das war nichts, was in irgendeiner Form genehmigt wurde oder von anderen Akteur*innen kam“, so Otto. “In der Zeit des Kolonialrevisionismus waren es städtische Akteur*innen, die das Ganze vorangetrieben haben. Das finde ich schon schockierend in der Rückschau.”

Von der Uni-Abgabe zur Ausstellung

Die Ausstellung ist Ergebnis eines Fotoprojekts Studierender des Masters Geschichte und Atlantic Studies in History, Culture and Society der Leibniz Universität Hannover. Basis des Projekts sind Arbeiten von Inga-Dorothee Rost. Sie forschte bereits 2003 zur hannoverschen Kolonialgeschichte. Ihre Ergebnisse stellte sie als Infotexte auf einer Website der Uni zur Verfügung. “Im Zuge des stärkeren Interesses unter anderem durch die ‘Black Lives Matter‘-Proteste haben wir uns entschieden, das Projekt wieder aufleben zu lassen“, sagt Dr. Jana Otto. Die Koordinatorin des Projekts ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arbeitsbereich Deutsche Geschichte an der Leibniz Universität. 

Die Studierenden hatten sich das Ziel gesetzt, sich kritisch mit der hannoverschen Kolonialgeschichte und ihrer bisherigen, schockierend geringen, Aufarbeitung auseinanderzusetzen, erklärt Studentin Lisa Meyer. Die Gruppe brachte Rosts Texte auf den aktuellen Forschungsstand und fügte neue hinzu. Zur besseren Anschaulichkeit sollten diese auch bebildert werden. Anfangs arbeitete die Gruppe dazu mit Archivbildern. “Aber die waren zu dokumentarisch”, erzählt Dr. Otto. „Sie spiegelten nicht unseren Anspruch wider, kritisch auf Geschichte zu blicken.” Also holte die Professorin Mark Mühlhaus mit an Bord. Der Fotograf gab den Studierenden die Werkzeuge an die Hand, um passende Bilder für ihr Projekt zu schießen. In den kommenden Tagen und Wochen radelten die Studierenden durch die niedersächsische Hauptstadt und versuchten, ihrem Anspruch gerecht zu fotografieren.

Visuelles Hinterfragen der Geschichte

Die Studierenden wollten die kolonialen Spuren, wie das Carl-Peters-Denkmal, aber nicht bloß abfotografieren. Sie stellten sich immer wieder die Frage, was sie reproduzieren, wenn sie die Kamera direkt draufhalten. Auch überlegten sie sich, ob das unreflektierte Abfotografieren vielleicht schon problematisch sei. Ziel der Gruppe war es, einen neuen Blickwinkel zu ermöglichen. Dr. Otto erinnert sich: “Wir wollten nicht nur dokumentieren, sondern visuell hinterfragen.“

Studentin Lisa Meyer steht vor den Bildern des Ausstellungsraums und erklärt die Hintergründe der Fotos und abgebildeten Orte
Lisa Meyer erklärt die Hintergründe der Fotos

„Am Anfang dachte ich, solche Denkmäler müssen einfach weg. Aber durch die Perspektiven der postmigrantischen Initiativen hat sich das für mich nochmal verändert. Man muss sich damit beschäftigen, es zum Beispiel in einem Museum integrieren und so aufarbeiten, anstatt es random im Stadtbild zu haben. Man sollte sich eben mit der Geschichte befassen und auch unter der Prämisse der Gegenwart nicht nur zu gucken, was war historisch, sondern auch, was hat es für Auswirkungen auf die
Gegenwart und unsere postmigrantische Gesellschaft? Da wäre ein Dialog total wichtig.“

 Lisa Meyer

Nationalsozialismus als Folge des Kolonialismus?

Zu sehen ist die Ausstellung im Zeitzentrum Zivilcourage in Hannover. Eigentlich dreht sich dort inhaltlich alles um die Zeit des Nationalsozialismus. Trotzdem passt die Kolonialismus-Ausstellung in das Konzept. “Die rassistische Ideologie des Kolonialismus ist eine Art Vorbereitung auf den Nationalsozialismus.”, erklärt Edel Sheridan-Quantz, eine Historikerin des Zeitzentrums. Die Idee, Menschen könnten wegen ihrer Hautfarbe mehr oder weniger wert sein als andere, verbindet Kolonialismus und Nationalsozialismus miteinander.

Im Zeitzentrum sind auch die Schicksale einiger Menschen festgehalten, die während der NS-Zeit aus ehemaligen Kolonien nach Deutschland kamen. Sheridan-Quantz erklärt: „Damals wurden auch junge Hannoveraner zwangssterilisiert und das Heiraten zwischen Schwarzen und Weißen wurde verhindert.”

“Erinnert? Vergessen? Kritisiert?”

Die Ausstellung kommt an: „Die Kombination aus studentischen Fotos und dem Film mit Menschen, die heute in Hannover leben, hat richtig eingeschlagen“, erinnert sich Sheridan-Quantz an den Tag der Eröffnung zurück. “Es hat eine ganz besondere Stimmung erzeugt.“

Von links nach rechts: Edel Sheridan-Quantz, eine Historikerin des Zeitzentrums, Dr. Jana Otto, Koordinatorin des Projekts, Lisa Meyer, Studentin.
Von links nach rechts: Edel Sheridan-Quantz, Historikerin des Zeitzentrums, Dr. Jana Otto, Koordinatorn des Projekts, Lisa Meyer, Studentin

Die Ausstellung stellt die sonst so mit dem Stadtbild verwobenen kolonialen Denkmäler ins Rampenlicht. Wer nach einem Besuch im Zeitzentrum noch einmal eine Runde durch die niedersächsische Hauptstadt dreht, nimmt diese vielleicht mit anderen Augen wahr. Das Wahrnehmen der Denkmäler ist wichtig, denn es stehen dringende Fragen an: Wie soll in Zukunft an die Kolonialzeit erinnert werden? Wer entscheidet darüber? Wie kann öffentliche, kritische Auseinandersetzung gelingen? Zu sehen ist die Ausstellung noch bis September 2023.

Der offizielle Instagram-Account von HannoverKolonial.

Text und Fotos: Celine Hog, Juli Sixel, Maria Wille

Genau wie die studentische Fotogruppe ist auch das Redaktionsteam hinter diesem Artikel ziemlich Weiß gelesen. Falls wir uns falsch ausdrücken oder etwas übersehen haben, meldet euch gerne bei uns und wir korrigieren das.