Deutschland, deine Omas

„There is no planet B“, „Essen ist politisch“, „No to racism“ sind nur Ausschnitte der vielseitigen Demonstrationskultur in Berlin und ganz Deutschlands. Manchmal zu Hunderten, oft zu mehreren Zehntausenden, gehen jährlich Bürger*innen auf die Straße und setzen sich mit Parolen und Bannern für ihre Ziele ein. So fanden im Jahr 2020 trotz der andauernden Pandemie 5.167 Demonstrationen und Kundgebungen in Berlin statt. Das sind lediglich 436 weniger im Gegensatz zum Vorjahr 2019. Von „Wir haben es satt“, zum Thema Agrarwende im Januar, über die „Black Lives Matter“-Bewegung, infolge des Todes von George Floyd im Juni, bis hin zur Querdenken Demonstration zum „Ende der Pandemie“ im August – die Themen sind vielseitig. Seit den 60er Jahren haben sich die Interessen von Demokratie und Autoritarismus zu einer Vielzahl von Schwerpunkten erweitert, wie Frieden, Umweltschutz und Atomenergie, Migration und ethnische Minderheiten sowie Globalisierung.

Säulendiagramm zu der Anzahl der Versammlungen pro Jahr in Berlin seit 2010 bis einschließlich 30.11.2020
Quelle: rbb24

In den letzten Jahren dominiert im politischen Diskurs das Thema Klimawandel. Die seit 2018 aktive „Fridays for Future“-Bewegung zieht allerdings vorwiegend junge Menschen an, wie eine Statistik des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung zeigt. So sind rund 70% der Teilnehmer*innen unter 25 Jahren. Alle weiteren Altersgruppen sind eher untervertreten. Dies zeigt auch das Durchschnittsalter von 26 Jahren.

Warum es wichtig – sogar notwendig – ist, dass das politische Interesse eines jeden nicht mit 26 Jahren endet, sondern uns bis ins Alter begleiten sollte, zeigen unsere engagierten Omas. Sowohl „Omas for Future“ als auch „Omas gegen Rechts“ stellen neue Maßstäbe auf, wie jede Altersklasse etwas bewirken kann. Dazu befragten wir Hedda und Susanne in online durchgeführten Zoom-Interviews und lernten mehr über ihre persönlichen Motivationen sowie Schwierigkeiten und Ziele ihres Engagements.

Oma Hedda

Kamen – eine kleine Hansestadt mit etwa 40.000 Einwohner*innen mitten in Nordrhein-Westfalen. Sieben Omas engagieren sich hier mittlerweile mit vollem Einsatz für die Zukunft unserer Erde. Allen voran die 69-jährige Hedda. 

Bevor die Corona-Pandemie über Deutschland hereinbricht, arbeitet die pensionierte Lehrerin in der Bibliothek ihrer ehemaligen Schule, leitet dort eine Umwelt-AG und zwischendurch eine Schule für Flüchtlingsmädchen. Außerdem arbeitet sie ehrenamtlich in einem Hospiz. Nebenher singt sie in einem Chor und ist Teil eines Orchesters. Aktiv sei sie schon immer gewesen, betont sie. Trotz ihres Alters ist für Hedda an einen gemütlichen Ruhestand nicht zu denken. Als der coronabedingte Lockdown all ihre ehrenamtlichen Tätigkeiten und Freizeitaktivitäten lahmlegt, liest sie in einer Zeitung zufällig einen Artikel über die „Omas for Future“ und denkt „Das ist es!“. So sei es immer gewesen, erzählt sie. Die Dinge seien ihr in ihrem Leben immer begegnet und stimmten einfach. 

Sie nimmt Kontakt auf zu der Lokalgruppe Düsseldorf und entscheidet sich im Juli 2020, die Lokalgruppe „Omas for Future Kamen“ zu gründen. Ihr bietet die Initiative eine neue Möglichkeit sich für ihre Ziele einzusetzen. 

Politisches Engagement gehört schon immer zu Heddas Leben. Bereits in der 1968er-Bewegung ist sie politisch aktiv und geht für den Frieden auf die Straße. Heute liegen ihr das Klima und die Umwelt ganz besonders am Herzen. Der ehemaligen Erdkundelehrerin ist es ein Anliegen, die Welt für die zukünftigen Generationen zu erhalten, schon junge Menschen zu politischem Engagement zu motivieren und ihnen die Liebe zu unserem Planeten nahezubringen. Sie selbst hat drei Kinder und drei Enkelkinder. Ihr Ansporn: Sie möchte der Generation ihrer Kinder und Enkelkinder eine Welt hinterlassen, die lebenswert ist. 

Schufensterdekoration in Kamen zum Thema "Omas for Future"
Schaufensterdekoration von „Omas for Future Kamen“
Bild: Hedda D.
Oma Hedda bei einer "Omas for Future Kamen" Aktion
Hedda von „Omas for Future Kamen“
Bild: Hedda D.

Für die Aktionen, die Hedda und die anderen sechs Omas im Rahmen der Initiative organisieren, erhalten sie viel Zuspruch und Unterstützung von der Stadt Kamen und deren Bürger*innen.

Nicht überall findet das Thema Anklang, auch nicht in Heddas Umfeld. Nicht jede*r möchte sich engagieren, aber dafür habe sie Verständnis, sagt Hedda. Ihre Generation habe „in diesem Staat ja schon Einiges gestaltet“. Außerdem gebe es einen weiteren Grund. 

Hedda über Gründe ihrer Generation, sich nicht zu engagieren (Interviewausschnitt)

„Hat ja immer auch kritischen und selbstkritischen Aspekt. Und wer wird schon gerne darauf hingewiesen, dass man z.B. zu viele Flugreisen gemacht hat und damit CO2 in die Atmosphäre entlassen hat. Man fühlt sich auch schnell selbst kritisiert, wenn dieses Thema aufkommt. Das vermute ich, ist eher der Grund für viele Menschen meiner Generation. Und man muss am eigenen Verhalten ja auch was ändern, damit man authentisch wird. Das ist ja auch nicht das, was jeder will.“ 

Oma Hedda

Auch wenn manche Ablehnung nicht komplett spurlos an ihr vorüber geht und sie danach erstmal kurz Luft holen muss, so weiß Hedda damit umzugehen. Ihre unerschöpfliche Motivation bleibt. Und das Rezept dafür? Man müsse den Menschen freundlich und wohlwollend entgegentreten, man dürfe nicht moralisierend mit „dem Holzhammer“ versuchen seine Überzeugung zu vermitteln.

„Ich versuche zu verstehen, [an] meine Generation, nicht zu forsch heranzugehen.” 

Oma Hedda
Hedda über das Engagement ihrer Generation (Interviewausschnitt)

Das habe sie seit Beginn ihres Engagements in der Initiative gelernt. 

Hedda ist zuversichtlich. Ihr Wunsch ist, dass die Welt offener wird. Auf lokaler Ebene hofft sie, dass die Stadt an Qualität gewinnt und eine Stadtkultur entsteht, die die Umwelt besser schützt und der Natur Raum und Leben zurückgibt. Die Gründung ihrer Lokalgruppe „Omas for Future Kamen“ dürfte da ein erster Schritt in die richtige Richtung sein.

Oma Susanne

Bereits als Schülerin ist sie mit Plakaten in den Händen in Züge gestiegen, um in den nächstgrößeren Städten gegen gesellschaftliche Missstände zu protestieren, seien es Notstandsgesetze, Stationierung amerikanischer Pershing-Raketen oder der Vietnamkrieg. Als Studentin hat sie sogar das erste Kasseler Frauenhaus mit aufgebaut. Seit ihrem Studium der Kunsterziehung war ihr beruflicher Werdegang am Künstlerischen orientiert, ein Jahrzehnt Arbeit in einer Theatergruppe mit der anschließenden Gründung einer Künstleragentur, in der sie bis zur Rente tätig war. 

Susannes Leben ist davon gekennzeichnet, sich mit den aktuellen Problemen auseinanderzusetzen, zu reflektieren und zu protestieren. Dies resultiere von einem inneren Gefühl, einen unausgesprochenen Auftrag geerbt zu haben, erzählt sie. Und zwar von ihren Eltern. Diese waren gerade in der Blütezeit ihrer Adoleszenz als die Fahnen des Nationalsozialismus geschwenkt wurden. Mit dem Ende des Krieges kam die untröstliche Realität, gefolgt von der lebenslang andauernden Reue ihrer Eltern, die sie in Form von Engagement in Kirchen, Parteien sowie Leserbriefen zu verarbeiten versuchten. 

Mit dem Aufstieg der AfD verstärkte sich nun Susannes Bedürfnis, konkret etwas gegen die zunehmende Rechtsradikalisierung in Deutschland zu unternehmen.

Susanne über die Entscheidung sich zu engagieren (Interviewausschnitt)

„[…] dass ich irgendwie immer gedacht habe: ‚Meine Güte, ich muss was machen! Uns geht’s im Prinzip so gut, aber ich muss mich irgendwie engagieren.‘ Ich kann hier nicht mal einfach nur mit meinem Hintern auf der Couch sitzen. Also das geht irgendwie nicht. Das habe ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren können.“

Oma Susanne

Wie der Zufall so wollte, stößt sie bei einer längeren Zugfahrt auf einen Zeitungartikel, der über „Omas gegen Rechts“ berichtet. Susanne recherchiert und schließt sich den Omas an. 

Ihr Freundeskreis unterstützt sie bei der Entscheidung, ihr Ehemann trägt den „Omas gegen Rechts“-Button, Bekanntschaften jüngeren Alters versuchen, mit ihr als Beispiel eigene Omas, Mütter und Tanten „anzuwerben“. Bis auf ältere Damen, die nicht als Omas betitelt werden wollten, ist die Reaktion der Außenwelt auf ihr Engagement überwiegend positiv.

Susanne über die Begrifflichkeit „Omas“ (Interviewausschnitt)

„Bei den älteren Frauen in meinem Umfeld […] da habe ich auch versucht Werbung zu machen für Omas gegen Rechts, als das noch in den Anfangsphasen war. Und da war oft die Reaktion, dass die im Prinzip politisch durchaus hinter diesen Anliegen stehen, aber die Tatsache, dass das Omas genannt wird, damit konnten sie nicht zurechtkommen. Nach dem Motto: Man fühlt sich immer jünger als man tatsächlich ist. Das war echt ein Hinderungsgrund. Das fand ich echt wild. Und ich finde [den Begriff ‚Omas‘] süß.“

Oma Susanne

Nichtsdestotrotz ist sie sich bewusst, dass nicht jeder die gleichen Werte vertritt wie sie. Einsichtsvoll erklärt sie, dass ihre Generation der Nachkriegskinder und „Habenichtse“ aus den Trümmern des 2. Weltkrieges durch das „Wirtschaftswunder“ relativ schnell zu Menschen wurde, die scheinbar alles haben konnten, dabei aber erst sehr spät ein Bewusstsein u.a. für die daraus resultierenden Umweltschäden entwickelten. Manch andere haben sich einbetoniert in dieser bequemen Lebensweise. Es fällt vielen älteren Personen heutzutage schwer, ihre politischen Mauern wieder einzureißen. Susanne hingegen hält es für sehr wichtig, der jungen Generation die Gefahr der rechtspopulistischen Ambitionen begreiflich zu machen.

https://twitter.com/oma_sg/status/1327987092794847233

Und das meistert sie mit der konkreten Arbeit innerhalb der Initiative: In Arbeitsgemeinschaften von „Argumente gegen Rechts“, in der Argumente diskutiert werden, „Personen vom Abrutschen in die rechte Denkweise [zu bewahren]“, über „Omas on Stage“, ein Versuch, das Anliegen auf kreative Weise zum Ausdruck zu bringen, bis hin zur Präsenz in den sozialen Medien, wie Twitter, wird das Ziel angegangen. Über Twitter berichtet sie dankbar, dass sie mithilfe der jungen Menschen auf dieser Plattform eine Steigerung der Präsenz erreichen konnte (von 196 auf stolze 795 Follower).

Die Arbeit während der Veranstaltungen erweckt viele Gefühle. Susanne berichtet von der Skurrilität der „Querdenker“-Demonstrationen in Berlin, wo die Omas in der Gegendemonstration als Nazis beschimpft wurden. Sie erklärt, dass die Omas abwägen, wann und ob sie an vorderster Front stehen können und dass sie z.B. bei einer Sitzblockade gegen den Marsch des „III. Wegs“ nicht mitmachen, weil es körperlich zu herausfordernd ist für die alten Knochen oder weil eine mögliche physische Auseinandersetzung vermieden werden soll.

Es gibt auch Triumph-Geschichten. Wie die über Sven Liebich in Halle im Sommer 2020. Dort hatte der Herr Liebich die lokale „Omas gegen Rechts“-Gruppierung derart diffamiert, dass sich bundesweit Omas zu einer „geheim geplanten“ Aktion solidarisiert haben. Rund 90 Omas sind in kleinen Gruppen aus ganz Deutschland angereist, mit dem Gefühl „Geheimagenten“ zu sein, verteilten sich unauffällig überall auf dem Marktplatz, indem sie am gängigen Wochenendgeschehen eines Marktplatzes teilgenommen haben: Eis essen, quatschen, Sonne genießen. Sobald Herr Liebich anfangen wollte sein Gedankengut kundzutun, haben die Omas, mit musikalischer Unterstützung der lokalen Antifa, eine kleine Party gestartet und den Herrn Liebich übertönt.

https://youtu.be/7rqorqaecsw?t=246
„Omas gegen Rechts“ – Aktion gegen Herrn Liebich (Ausschnitt zdf heute)

Die alltäglichen Probleme heutzutage sind zwangsläufig von Corona gekennzeichnet. Anfangs haben sich die Omas noch draußen für Spaziergänge getroffen. Mit den jetzigen Regelungen sind sie komplett auf Videokonferenzplattformen wie Zoom umgestiegen. Für viele fällt es nicht nur schwer das Engagement digital aufrechtzuerhalten, sondern das neue „normale“ Leben zu leben. Arztbesuche, Termine mit dem Anwalt oder der Anwältin, Treffen mit Freund*innen verlaufen virtuell. Die Omas versuchen es mit Optimismus durchzustehen, meint Susanne: „Wir machen weiter und wir hoffen, dass wir im Sommer spätestens wieder vermehrt uns treffen können […] Insofern, ich freu mich“

Für die Zukunft wünscht sich Oma Susanne, dass die Gefahr des Rechtsradikalismus, des Populismus und des Extremismus ins Bewusstsein der Bevölkerung sowie der Politik eintritt, indem beispielsweise Studien über Diskriminierung innerhalb der Polizei nicht beiseitegelegt, sondern mit Aufmerksamkeit und Ernsthaftigkeit durchgeführt werden.  

„Und dass die AfD natürlich so klein wie möglich bleibt oder besser noch: ganz verschwindet!“, sagt sie abschließend mit einem Lächeln.


Diese zwei „Omas“, Hedda und Susanne, stehen beispielhaft für viele, die sich bewusst dazu entscheiden, im Alter politisch aktiv zu bleiben. Sie alle eint die Entschlossenheit zu handeln und der Tatendrang. Es ist ihnen ein Anliegen, mit ihrem Tun die jüngere Generation zu motivieren, zu inspirieren.

Ihr Engagement hilft, die Welt ein wenig besser zu machen.

Autor*innen: Klara Lübbe, Tahnee Czerny, Oleg Major

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