CLAUDI1

 

Luisa:

Hallo Claudia, vielleicht können Sie sich zu Beginn einfach kurz vorstellen und auch erzählen, wie Sie dazu gekommen sind, sich speziell mit der Gewalt in der Geburtshilfe auseinander zu setzen.

Claudia:

Mein Name ist Claudia Watzel. Ich bin Diplom-Psychologin in Weiterbildung zur Psychotherapeutin. Den Schwerpunkt möchte ich dabei auf Eltern- Säuglings und Kleinkindpsychotherapie setzen. Neben meinem Beruf, würde ich sagen, bin ich Aktivistin für Frauenrechte und insbesondere für Frauenrechte im Kontext Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett.

Frauenrechte fand ich einfach schon immer wichtig. Ich bin dann selbst Mutter geworden. Unsere Tochter habe ich zuhause geboren – in einer Geburt, die ich als sehr schön empfand und die im besten Sinne selbstbestimmt war. Im Nachhinein habe ich dann aber mitbekommen, dass viele andere Mütter die Geburt gar nicht so erlebt haben. Und das eine schöne Geburt eher die Ausnahme als die Regel zu sein schien. In dieser Zeit ist mir klar geworden, dass ich meinen Schwerpunkt auf den Bereich Gewalt setzen möchte – mich also gegen diese Gewalt gegen Frauen einsetzen möchte. Das hat letztendlich dazu geführt, dass wir den Verein „Schwere Geburt“ gegründet haben. Dieser Verein setzt sich nun genau dagegen ein: gegen Gewalt gegen Frauen im Kontext von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett.

Luisa:

Sie sagten „wir“ – an der Vereinsgründung waren noch andere beteiligt?

Claudia:

Ja, einige Aktivistinnen aus Berlin – eine Sozialpädagogin und Geburtsbegleiterin und noch eine Pädagogin.

Luisa:

Sie sagten, sie hätten nach ihrer eigenen Geburt mitbekommen, dass eine schöne Geburt eigentlich eher die Ausnahme als die Regel ist. Warum sprechen aber tatsächlich so wenige Frauen darüber, dass sie Gewalt während der Geburt erlebt haben? Warum weiß die Öffentlichkeit nicht Bescheid, dass es diese Gewalt in der Geburtshilfe gibt?

Claudia:

Warum wird generell so wenig über Gewalt gegen Frauen gesprochen? Betroffene Frauen reden allgemein selten über ihre Gewalterfahrungen. Ich denke bezogen auf die Geburt ist das aber nochmal schwieriger. Das ist zum einen eine besonders sensible Phase im Leben einer Frau, in der es auch gerade nochmal um Neufindung von Identitäten geht. Und zum anderen redet man nicht nur über die Geburt, die man als Mutter hatte, sondern eben auch über die Geburt, die das Kind hatte. Ich glaube, dass es daher nochmal viel schwieriger ist darüber zu reden. Da sind eben noch andere Menschen involviert. Häufig fühlen sich Frauen sogar schuldig, dass sie ihr Kind nicht besser haben schützen können.

Luisa:

Es ist also auch einfach ein langer Prozess für betroffene Frauen, bis sie über das Erlebte reden können.

Claudia:

Ja, und dann wird es häufig noch negiert von der Umgebung. Selbst wenn Frauen versuchen darüber zu sprechen – sei es mit der Wochenbetthebamme, sei es mit Freundinnen, sei es mit der Familie – dann bekommen sie ganz schnell zu hören: „sei doch froh, das Kind ist gesund“. war Und das war tatsächlich schon ziemlich revolutionär, das so zu sagen.

Luisa:

Wenn man bei einer Geburt allein das Wohl des Kindes in den Vordergrund stellt, sieht man die gebärenden Frauen eben gar nicht mehr.

Claudia:

Genau, man sieht die Frau nicht. Manchmal misst man Geburtserfolg an Mütter- und Kindersterblichkeit oder an den dokumentierten Geburtsschäden. Aber auch das ist kritisch zu sehen. Also selbst wenn man die Frau noch sieht, wird der Geburtserfolg reduziert auf das physische Wohlbefinden der Mutter. Außerdem weiß man auch, dass Frauen, die auf dem Papier eine unkomplizierte Spontangeburt hatten, trotzdem ganz häufig damit hadern, eben wie das alles passiert ist. Und zwar nicht nur, weil es um subjektiv erlebten Kontrollverlust geht, sondern: Weil es ganz explizit Gewalt gegen diese Frauen gab. Und das steht eben nicht auf dem Papier.

Luisa:

Es ist wahrscheinlich auch nicht leicht dann als Frau laut zu werden und den Ärzt*innen oder Hebammen zu sagen: „ich hab das, was da drin steht, aber anders erlebt“. Da stehen dann eben auch zwei Aussagen gegeneinander.

Claudia:

Genau, wer hat dann die Definitionsmacht? Und steht in dem Geburtsprotokoll überhaupt alles drin, was tatsächlich passiert ist? Wir wissen auch, dass Frauen berichten, dass bestimmte Handlungen darin eben nicht auftauchen. Sie wissen aber, dass das passiert ist.  Stattdessen hängt da ein seitenlanges CTG im Geburtsprotokoll, während über die Verfassung der Mutter beispielsweise gar nichts gesagt wird.

Als Arzt, Ärztin oder Hebamme ist man immer auf der sicheren Seiten, wenn man sich an bestimmte Leitlinien hält. Diese Leitlinien gibt es auch für den Ablauf von Geburten. Wenn Handlungen von Ärzt*innen oder Hebammen während der Geburt davon abweichen, müssen sie das gut begründen. Da merkt auch ganz schnell, dass es schwierig werden kann, wenn eine Frau sich gegen eine Leitlinienempfehlung entscheidet. Auch das muss dann auf jeden Fall vernünftig dokumentiert werden. Es muss dargelegt werden, dass die Frau vernünftig aufgeklärt haben und das sie es trotzdem will. Ich würde aber vermuten, dass der Druck etwas auf eine bestimmte Art und Weise durchzuführen aufgrund der Leitlinien dann aber noch größer ist.

Leitlinien sind letztendlich aber auch nur Empfehlungen. Und ‚Empfehlung‘ bedeutet nicht, dass das für jede einzelne Frau die beste Entscheidung ist.

Das ist auch ähnlich bei den Mutterschutzrichtlinien. Frauen denken ganz oft, sie MÜSSEN das so machen. Hebammen denken das auch manchmal. Ärzte denken das auch manchmal. Das ist aber quatsch.

Luisa:

Während der Schwangerschaft bekommt man als Frau ja auch meist aus allen Richtungen irgendeine Meinung zu hören. Das kann auch verunsichern.

Claudia:

Ja, ab dem Moment ihrer Schwangerschaft „wissen“ alle, was das Beste für eine Frau ist. Das fand ich persönlich damals auch sehr eindrücklich. Plötzlich wussten alle, was richtig ist oder was man machen sollte. Aber alle hatten auch eine andere Meinung. Das ist auch spannend.

Luisa:

Gibt es denn auch Väter, die von der Gewalt in der Geburtshilfe betroffen sind oder sogar traumatisiert?

Claudia:

Das ist ein ganz schwieriges Thema… mit den Vätern. Aber vielleicht gehen wir nochmal einen Schritt zurück, bevor ich zu den Vätern komme: was macht Gewalt unter der Geburt?

Zuerst einmal kann man Gewalt unter der Geburt nicht so einfach mit einem Trauma gleichgesetzt werden. Allgemein führt nicht jeden Gewalterfahrung zu einer post-traumatischen Belastungsstörung in dem Sinne, wie sie definiert ist. Vielleicht führt die Erfahrung von Gewalt unter der Geburt auch „nur“ zu einer postnatalen Depression oder einer Angststörung im Wochenbett – je nachdem, was die Frau „mitbringt“ und wie die real Situation aussah.

Wenn wir aber über Traumatisierung in einem engeren Sinne sprechen, ist es so: Man weiß aus der Traumforschung, dass nicht nur das Selbsterleben eines traumatisierenden Ereignisses zu einer post-traumatischen Belastungsstörung führen kann, sondern eben das auch das Miterleben oder Bezeugen von etwas dazu führen kann. Und das trifft auch auf viele Väter zu.

Dazu kommt auch noch, dass viele Väter nicht nur Zeugen von dieser Gewalt sind, sondern auch zu Mittätern gemacht werden. Frauen berichten zum Beispiel, ihr Mann habe sie am Bein festgehalten während ihr Gewalt angetan wurde. Er habe sie also nicht nur nicht geschützt, sondern ist aktiv einbezogen worden. Das liegt natürlich meist daran, dass sich auch der Mann in einer angstbesetzten Situation befindet – der hat Angst um die Frau, der hat Angst um das Kind. Und wenn dann eine Hebamme kommt und sagt „Jetzt halt Sie mal das Bein ihrer Frau fest!“ – dann machen die das erstmal. Jedenfalls die Bereitschaft, das zu tun meist sehr groß. In solch einer Situation zu sagen „Nein, Moment mal. Warum soll ich das denn?“ – das setzt sehr viel Wissen und Stärke voraus.

Es gibt häufig die Phantasie, dass die Männer das machen sollen. Wenn sie das dann nicht tun – also passiv beobachtet haben oder aktiv in das Tatgeschehen einbezogen wurden – dann ist das natürlich auch im Nachhinein sehr schwierig für die Paar-Beziehung.

Luisa:

Und auch Hebammen oder Hebammenschülerinnen werden teilweise als Betroffene der Gesamtsituation beschrieben oder beschreiben sich selbst so.

Claudia:

Ja, weil auch die das miterleben. Die haben natürlich auch oft eine andere Vorstellung davon, wie Geburt sein sollte und bekommen dann sowas mit. Da können sie meist selbst wenig tun. Man muss sich auch klar machen, dass Krankenhäuser sehr hierarchisch sind. Und Hebammenschülerinnen stehen natürlich ganz unten in der Hierarchie.

Aber trotzdem gibt es da auch eine subjektive Verantwortung. Auch wenn das System an sich gewalttätig sein mag, gibt es noch das eigene Verhalten und da ist man trotzdem nicht aus der Verantwortung für das eigene Handeln entlassen.

Luisa:

Worin genau sehen Sie dann tatsächlich die Ursachen für Gewalt in der Geburtshilfe?

Claudia:

Also zum einen ist das natürlich die Struktur. Die Kliniken sind, wie ich bereits erwähnt habe sehr hierarchisch strukturiert und das haben dann auch Patient*innen mitzumachen. Das ist ja nicht nur in der Geburtshilfe so. In der Geburtshilfe ist das aber, denke ich, besonders prekär. Dort geht es ja um Menschen, die per se nicht krank sind. Um es anders zu sagen: Da kommen gesunde Frauen rein und die werden dann auf eine Art und Weise unmündig gemacht. Das ist das schwierige.

Und andererseits muss man verstehen, dass die Hebammen, die jetzt zu meist noch im Dienst sind damals in der Schule eben all das gelernt haben, von dem wir jetzt wissen, dass es nicht gut ist. Also, eine Hebamme hat beispielsweise zwanzig Jahre lang gelernt, dass man halt routinemäßig einen Dammschnitt machen muss und heute weiß man aber: das muss man nicht. Das erfordert auch viel Stärke, um sich das einzugestehen und die Einsicht in die Arbeit wiederum zu integrieren. Und auch nicht jede Hebamme schafft es zu sagen: „Ja, ich habe das getan, zwar mit bestem Wissen und Gewissen, aber ich habe damit trotzdem Frauen geschädigt. Deshalb mache ich das heute anders“. Ich glaube, dass das auch möglich ist. Aber es ist sehr schwer.

Es ist natürlich für Hebammen auch nicht leicht sich einzugestehen, dass man Gewalt ausgeübt hat und vor sich selbst Rechenschaft abzulegen.

Eine andere Komponente, die zu Gewalt führen kann, ist natürlich auch der reale Druck, der in den Kliniken vorherrscht. Wenn Hebammen mit so viel Druck arbeiten, dass sie nicht essen können, nicht trinken können oder nicht zur Toilette gehen können während ihrer Schicht, einfach weil da keine Zeit ist, dann wird für sie und ihre Grenzen gar nicht gut gesorgt. Und dann aber selbst mit einer achtsamen Haltung für die Grenzen anderer, in dem Fall der Gebärenden zu handeln, ist dann quasi eigentlich nicht gut möglich.

Luisa:

Also sehen Sie die Ursachen vor allem auf struktureller Ebene? Habe ich das richtig verstanden?

Claudia:

Nein, ich denke die Ursachen für diese Gewalt nur auf die Struktur zu reduzieren ist auch nicht richtig. Der Hebammenverband hat das in diesem Jahr aber auch gemacht. Zuvor haben sie in ihrem Positionspapier die Gewalt an sich – unabhängig von den Ursachen – ganz klar verurteilt. In diesem Jahr hat wurde das aber auf die Struktur reduziert. Diese Reduktion finde ich aber sehr schwierig. Das berührt den Punkt, den ich vorhin schon erwähnt habe: Die Verantwortung für das Handeln trage immer noch ich als handelnde Person selbst. Auch, wenn die Strukturen schlecht sind, muss ich anhand ethischer Leitlinien meines Berufes entsprechend handeln. Ich war letztens auch wieder bei einem Fachtag zu dem Thema. Da war eine Hebamme in der Podiumsdiskussion, die die Haltung vertreten hat, dass es Gewalt ohne Täter*innen gibt. Aber da bin ich ganz anderer Meinung: Nein, Gewalt ist nicht ohne handelnde Menschen denkbar.

Luisa:

Was muss sich den verändern, um Gewalt in der Geburtshilfe zu beenden? Was sind da die konkreten Forderungen ihres Vereins „Schwere Geburt“?

Claudia:

Also zuerst einmal: Es muss anerkannt werden, dass es diese Gewalt gibt. Es ist keine Gewalt, die sich im luftleeren Raum abspielt. Es ist keine Gewalt ohne Täter*innen. Im Gegenteil: Es gibt Täter*innen und es gibt diese Form der geschlechtsspezifischen Gewalt. Ich denke, man muss die Gewalt im Kontext von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett unter dem Aspekt ‚Gewalt gegen Frauen‘ diskutieren. Wir sprechen nicht über ein rein gesundheitliches Thema, sondern wir sprechen über eine spezifische Form von Gewalt gegen Frauen.

Mich freut sehr, dass auch der Europarat diese Haltung vertritt.  In einer EU-Resolution vom Oktober 2019 fordert der Europarat alle Mitgliedsstaaten auf, tätig zu werden bezüglich der Bekämpfung und Prävention von Gewalt in der Geburtshilfe. Dort wird diese Gewalt auch explizit auf die Istanbul Konvention bezogen. Es wird ganz klar gesagt: Das ist eine Form von Gewalt gegen Frauen und die Mitgliedsstaaten sind verpflichtet, tätig zu werden. Der Forderungskatalog, der in dieser Resolution steht, ist wirklich gut. Den würde ich sofort so unterschreiben.

Luisa:

Da werde ich dann auch mal reinschauen, danke. Meine nächste Frage bezieht sich auch auf den Kontext geschlechtsspezifischer Gewalt. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der aufkommenden Debatte um Gewalt in der Geburtshilfe und der #metoo – Bewegung oder der Abtreibungsdebatte um §218 und §219a?

Claudia:

Ja, unbedingt beide Bewegungen sollten in Zusammenhang auch mit der Debatte um Gewalt im Kontext von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett gesehen werden.

Aber vielleicht beginne ich erstmal etwas zur Abtreibungsdebatte um §291a zu sagen. Das ist  ganz interessant. Bezogen auf Schwangerschaftsabbrüche richtet sich die Rechtsprechung in Deutschland ganz klar nach dem Argument, dass das Wohl des Kindes vor dem Wohl der Mutter kommt. Liest man entsprechende Urteile und deren Begründungen findet man meistens genau dieses Argument. Und ganz ähnlich wird dann im Kontext Geburt auch argumentiert. Vor ein paar Jahr ist ein Artikel einer Fachzeitschrift für Gynäkolog*innen erschienen, den ich ganz scheußlich fand. Dort wird gesagt, dass das Recht einer Mutter auf eine schöne Geburt zurückzutreten hätte, hinter dem gesamtgesellschaftlichen Interesse an der Geburt eines Kindes. Und genau das passiert leider auch in der Geburtshilfe. Da werden Frauen dann auch während der Geburt unter Druck gesetzt oder sogar erpresst, indem ihnen beispielsweise explizit gesagt wird: „Das können Sie nicht machen, sonst gefährden Sie das Wohl des Kindes“.

Dieses Argument finde ich besonders schlimm auf zwei verschiedenen Ebenen.

Zum einen wird der Mutter unter der Geburt die Fähigkeit abgesprochen, selbst Entscheidungen zum Wohl ihres Kindes zu treffen. Ist das Kind geboren, können Mutter und Vater gesundheitliche Entscheidungen für ihr Kind treffen. Aber während der Geburt, darf eine Frau das prinzipiell nicht. Das ist eine ganz verquere Logik irgendwie.

Und zum anderen impliziert eine Argumentation, die das Wohl des Kindes über dem der Mutter sieht, dass wir über das Kind reden können, ohne über die Mutter zu reden. Das ist aber Quatsch. Zum Zeitpunkt der Geburt und auch im Wochenbett existiert das Kind auch psychisch nicht unabhängig von der Mutter. Schaden sie der Mutter, schaden sie auch dem Kind – ganz massiv.

Luisa:

Ja, ich verstehe. Gewalt unter der Geburt kann eben langfristige Auswirkungen auf die Mutter und damit auch auf das Wohl des Kindes haben. Dieser Aspekt müsste deutlicher werden, wenn wir über das Wohl des Kindes reden.

Claudia:

Ja. Sie hatten noch eine zweite Frage.

Luisa:

Genau, zur #metoo – Bewegung…

Claudia:

Ja, richtig. Und auch bezogen auf die #metoo – Bewegung gibt es da tatsächlich viele Parallelen. Es gab sogar den Hashtag #metoointhebirthroom. Es gibt einen sehr schönen Blogartikel von Jesusa Ricoy – der Frau, die die Roses Revolution initiiert hat – in welchen sie nochmal rausarbeitet, warum sich diese Erfahrungen von Gewalt unter der Geburt auch als #metoo verstehen lassen.

Ja, und damit kommen wir dann eigentlich auch schon zur Roses Revolution.

Luisa:

Das wäre auch meine nächste Frage gewesen. Dann erzählen Sie doch noch etwas zur Roses Revolution.

Claudia:

Die Roses Revolution hat ihren Anfang im Jahr 2011. Das war damals eine Reaktion auf Karikaturen, die in einem Fachblatt von spanischen Gynäkolog*innen veröffentlicht wurden. Das waren also Karikaturen, die sich über Patientinnen lustig machten. Und dann gab es aber ganz viele Frauen, die sagten, dass das nicht nur harmlose Karikaturen seien – sondern es den Frauen tatsächlich so ergangen war, wie die Karikaturen das zeigten. Dann ist auch relativ schnell der Slogan der Roses Revolution entstanden: „Name it – Each Woman is a Rose“. Und darin steckt quasi auch die Aussage: „Ihr habt kein Recht so über uns zu reden. Ihr habt kein Recht unsere Körper kaputt zu machen. Jeder Körper ist ein schöner Körper. Ihr nehmt uns nicht unsere Würde“.

Ausgehend von den Berichten, dass diese Karikaturen reale Situationen widerspiegelten, hat es sich dann schnell dahingehend ausgeweitet, dass Frauen auch von realer Gewalt unter der Geburt berichteten. Mit #rosesrevolution wurden diese Berichte dann über die sozialen Medien geteilt.  Die Roses Revolution ist dann auch umgezogen quasi auf den 25.11., also auf den Tag zur Bekämpfung der Gewalt an Frauen. An diesem Tag legen Frauen eine Rosen nieder – vor dem Kreißsaal, Geburtshaus oder sogar in der eigenen Wohnung – dort, wo ihnen durch Geburtshelfer*innen, Hebammen oder Ärzt*innen Gewalt angetan wurde. Zum Teil schreiben die Frauen auch Briefe dazu oder teilen ihre Berichte in den sozialen Medien.

Seit 2013 gibt es die Roses Revolution auch in Deutschland. Über die Facebookseite der Roses Revolution kann man auch sehr viel erfahren. Und es werden jedes Jahr mehr und mehr Frauen, die sich daran beteiligen. Diese Facebookseite zur Roses Revolution wurde dann aber immer nur einmal im Jahr, speziell zu diesem Tag hochgeschaltet. Die Idee der Vereinsgründung war daher auch, eine stetige Anlaufstelle zu schaffen.

Luisa:

Und auf dieser Facebookseite werden dann auch Geburtsberichte von Frauen gesammelt und zusammengetragen?

Claudia:

Ja. Aber das hängt ganz davon ab, was die Frauen möchten.  Es gibt Frauen, die legen einfach eine Rose nieder, andere schreiben noch etwas dazu, manche einen langen Geburtsbericht, andere einen persönlichen Brief an Personal, andere wiederum wollen es komplett anonym halt – das kann also ganz verschieden ablaufen.

Aber hauptsächlich geht es auch darum, Verantwortung zurückzugeben. Das ist das emanzipatorische dieser Rosen Revolution. Das Niederlegen der Rose steht symbolisch dafür, dass Verantwortung zurückgegeben werden kann. Die Frauen erkennen an, dass ihnen Gewalt wiederfahren ist und ihnen geschadet wurde. Und sie erkennen so auch, dass sie keine Schuld für das Geschehen tragen. Aber auch das ist ein langer Prozess, nicht jede Frau kann diesen Schritt sofort gehen.

Es braucht einfach Zeit bis die erlebte Gewalt auch in das eigene Leben integriert werden kann. Das ist also ein Verarbeitungsprozess und der ist eben unterschiedlich lang.

Luisa:

Und wie reagieren Täter*innen darauf? Also wie reagieren Kliniken, Ärzte, Ärztinnen oder Hebammen? Kommen da viele Reaktionen nach dem Roses Revolution Day?

Claudia:

Auch das ist total spannend. Ich habe einmal im Namen von etwa 50 Frauen, die sich zu dem Zeitpunkt eben noch nicht trauten an die Kliniken heranzutreten, einen Brief geschrieben. Ich habe dann also den exakt gleichen Brief an mehrere Kliniken geschickt und die Reaktionen gingen sehr weit auseinander. Einigen fragten zum Beispiel nach mehr Material, dann gab es manchmal Danksagungen vom Qualitätsmanagement der Kliniken oder einen Chefarzt, der fragte, ob es man nicht eine Fortbildung dazu machen könne. Aber dann gab es auch einen Antwortbrief, in dem ich massiv beschimpft wurde. Inklusive einem riesigen Pamphlet, darüber wie dankbar die Frauen immer seien und dem wurde dann als Beweis sogar noch ein Dankesbrief einer Mutter rangehangen.

Luisa:

Das hat also viel auch wirklich mit den Personen zu tun.

Claudia:

Genau, und wie viel Verständnis diese eben dafür aufbringen können. Also ich glaube, es ist wirklich grundsätzlich sehr verschieden, wie reagiert wird. Es gibt auch Hebammen, die sich dann darüber beschweren, dass kein Brief beigelegt wurde mit der Forderung, dass sie ihnen gesagt werden müsse, was sie anders machen sollen. Da denke ich aber, dass diese Aktion der Frauen einfach eine Form der Selbstermächtigung darstellen sollte und eben keine Qualitätsmanagement-Schulung.

Wir haben auch von Fällen gehört, wo Frauen ihre Briefe nicht anonym verfasst haben und dann nochmal zum Gespräch in die Klinik eingeladen wurden. Dort wurde das Verhalten der Klinik und die Gewalt dann eigentlich nochmal gerechtfertigt. Daher bin ich auch über jeden Brief froh, der nicht ganz real eine Situation schildert.

Es gibt aber auch Hebammen, die diese Aktion an sich – also eine niedergelegte Rose –  wirklich als Anlass nehmen, um zu fragen: „Was mache ich im Klinikalltag? Was kann ich anders machen?“. Und diese Reaktionen machen mir dann Hoffnung, dass sich tatsächlich etwas ändert. Und darum geht es letztendlich.

Luisa:

Das stimmt.

Was mich auch noch interessiert ist die Frage, inwiefern wir mit Frauen und mit der gesamten Öffentlichkeit über dieses Thema sprechen können, ohne einfach nur Angst zu schüren.

Claudia:

Diese Frage zu beantworten ist schwierig und komplex. Zu erst einmal, sollte klar sein, dass Angst auch zur Schwangerschaft dazugehört. Es ist normal, dass schwangere Frauen auch Angst verspüren, denn sie wissen nicht genau, worauf sie sich einlassen. Das ist einfach normal – Ungewissheit macht Angst. Das Problem mit der Angst ist aber, dass auch oft schon in der Schwangerschaft der Angst meist gar kein Raum gegeben wird. Angst kann aber auch eine Möglichkeit sein. Angst ist ein natürliches Warnsystem. Deswegen sollte man da auch mal hingucken und sehen, was man mit der Angst anfangen kann. Es ist eigentlich ganz gut, dass sie da ist.

Das ist das eine. Zum anderen ist Angst allein, natürlich ein schlechter Ratgeber. Also, wenn man etwas aus Angst entscheiden oder eben die Angst vermeidend entscheiden, dann kann man nicht gut entscheiden. Daher ist es mein Rat, einfach erstmal hinzugucken und gut zu überlegen.

Und drittens muss man sagen, dass Angst unter der Geburt selbst die Geburt hemmen kann. Das ist ein Gegenspieler – macht in Hinblick auf Evolution auch total Sinn: befindet sich eine Frau in einer gefährlichen Situation, sollte die Geburt natürlich erstmal unterbrochen werden, sodass sie sich und das Kind schützen kann. Die Geburt selbst sollte einfach in einer möglichst angstfreien Atmosphäre passieren. Bezogen auf die Gewalt in der Geburtshilfe und damit verbundener Angst, würde ich ganz pragmatisch sagen, dass diese Gewalt dann ja nicht verschwindet nur weil man so tut als wäre sie nicht da.

Ich bin immer dafür, darüber zu sprechen wie die Situation wirklich ist. Nur so können sich Frauen auch davor schützen. Also wenn ich zum Beispiel weiß, dass in einer bestimmten Klinik eine bestimmte Interventionsrate sehr hoch ist und gerade das mir Angst macht, macht es doch total Sinn vorher darüber nachzudenken. Dann kann ich vielleicht nicht in diese Klinik gehen, sondern in eine andere.

Es macht einfach Sinn, sich darüber Gedanken zu machen, wovor man Angst hat und daraus erkennen, was man braucht.

Luisa:

Ja, das macht Sinn. Was genau würden Sie denn einer Frau präventiv empfehlen, um sich vor Gewalt unter der Geburt zu schützen? Was wollen Sie uns und allen anderen noch mitgeben? Was liegt Ihnen da noch am Herzen?

Claudia:

Ich denke, das Wichtigste ist, dass wir unsere Rechte kennen. Die Grenzen von dem, was ich akzeptiere und was nicht, verschieben sich dann. Je mehr Informationen man hat, desto besser lassen sich Entscheidungen treffen. Und, wie ich bereits sagte, macht es sehr viel Sinn, sich im Voraus zu überlegen: Was brauche ich? Was möchte ich für meine Geburt? Was möchte ich nicht?

„Kenne dein Recht“, das mag auch erstmal ganz banal klingen. Aber ich denke, es ist essentiell. Das kann manchmal wie ein Zauberwort sein. Bei einer Freundin von mir war es genau so: Sie verlangt explizit ein PDA. Man hält sie hin. Sie bekommt das mit. Und sie spricht es an. In dem Moment, als sie sagte, dass sie ihre Rechte kenne, änderte sich die Atmosphäre schlagartig. Der Anästhesist, auf den sie zuvor eine Stunde gewartet hatte, war dann ganz schnell da. Und auch bei allem, was danach bei dieser Geburt passiert ist, wurde zuvor eine Zustimmung bei meiner Freundin ein geholt.

Luisa:

Ich denke, dieses Beispiel beleuchtet sehr gut, dass es wichtig ist sich als Gebärende über die eigenen Rechte im Klaren zu sein.

Claudia:

Ja. Mich berührt es aber auch sehr darüber zu erzählen, weil ich auch denke: Es kann doch nicht sein, dass eine Frau nur dann gute und grenz-wahrende Geburtshilfe bekommt, wenn sie mit Recht argumentiert! Es muss doch möglich sein, dass eine Frau mit keinerlei Vorerfahrung oder geringem Bildungshintergrund auch eine gute, qualitativ hochwertige Geburtshilfe bekommt.

Aber deswegen müssen wir jetzt über Gewalt in der Geburtshilfe reden. Frauen müssen wissen, dass das nicht in Ordnung ist und nur dann können sie auch was anderes einfordern.

Luisa:

Das sehe ich auch so. Über dieses Thema muss gesprochen werden. Und ich bedanke mich ganz herzlich bei Ihnen, dass Sie das heute mit mir getan haben.

Claudia:

Sehr gern, bis bald!

 

Dieses Interview war Teil unserer Recherche zum Beitrag „Über Gewalt in der Geburtshilfe und eine Revolution mit Rosen“

[ssba]

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