K.I.Z.: Eine Zeittafel des Missverständnisses

Autoren: Sophie Hähnel & Walter Schilling

Musik bringt Menschen zusammen. Dies sollte sie auch im vergangen Jahr beim „Wir sind mehr“- Konzert sein. Unter dem Motto „gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Gewalt und Hass“ versammelten sich über 50.000 Menschen in Chemnitz, um mit Musik zu demonstrieren. In den Wochen vor dem Konzert kam es immer wieder zu Ausschreitungen, Protesten und Demonstrationen, Gewalt und Auseinandersetzungen mit Politikern und Journalisten. Hintergrund für diese Entwicklungen war der Mord an einem 35-jährigen Chemnitzers.
Überschattet wurde das Konzert für Positivität und Frieden von Vorwürfen diverser Medien, insbesondere der BILD-Zeitung, gegenüber den Berliner Rappern von „K.I.Z.“.
Die zweifelsohne provokante, aber eben vor allem sarkastisch und mit viel Humor zu verstehende Rapper-Formation wurde, zum wiederholten Mal, Opfer von Journalisten, die es eben nicht schaffen zwischen den Zeilen zu lesen, sondern einzelne und teilweise sogar unvollständige Zeilen aus Texten herausziehen und frei interpretieren, eben so, dass es in ihre Kritik passt. Was nicht passt, wird
passend gemacht!
Schon in der Vergangenheit standen die Rapper, Maxim (34),Tarek (32) und Nico (35), bereits im Mittelpunkt ähnlicher Diskussionen und immer wieder sind es die selben, relativ alten Textzeilen, die entweder aus ihrem Kontext gerissen werden oder falsch bzw. überinterpretiert werden.

Foto: Florian Rippert, Quelle: Flickr, cc by 2.0



Die BILD nahm für ihren Artikel einzelne Verse von K.I.Z’ Song Affe und ein Pferd und schrieb über diese Zeilen, ohne auf den Zusammenhang einzugehen. Es liegt in der Natur der Sache, dass solch eine Interpretation von Lyrik immer schief gehen muss. Denn schon der Literaturwissenschaftler Jürgen Link schrieb über die Überkonstruktion solcher Textarten. Dort heißt es, dass sie endlos tief analysierbar sind. Schließlich ist in der Lyrik mehr zu erkennen, als bloß das geschriebene Wort. Viele verbinden genau diese Tatsache mit Lyrik, wenn sie über Gefühle sprechen, die solche Textsorten bei ihnen auslösen. Man könnte auch von einem Bild in einem Bild in einem Bild usw. sprechen. Oder um es in den Worten von Jürgen Link zu sagen: Ein lyrischer Text hat die Tendenz, die vertikale Vielfalt der Ebenen ständig zu vermehren.

Der Journalist Peter Tiede verschließt sich dem aber völlig und veröffentlicht bei der BILD eine Analyse des K.I.Z-Konzerts ohne jeglichen Kontext. Dabei ist dieser Zusammenhang in jeder Sprechersituation wichtig. Schließlich hat ein „Ja“ auf die Frage des Dönerverkäufers: „Mit scharf?“, eine vollkommen andere Bedeutung als das Ja-Wort während einer Hochzeit. So ist die Unterüberschrift des Textes von Peter Tiede „Ich ramm die Messerklinge in die Journalisten-Fresse“ und reisst das K.I.Z.-Zitat aus dem Zusammenhang.

In der besagten Strophe personifiziert der Erzähler jedoch die Asozialität schlecht hin. Er zwingt seine Mitschüler dazu, seine Hausaufgaben für ihn zu machen, gibt seinen Gästen Urin zu trinken, umgibt sich mit Huren und schlägt seine Mitmenschen so sehr, dass sie querschnittsgelähmt werden. Das ist aber noch nicht alles, denn er steckt Leuten gerne Böller in die Kapuze und verdient seinen Lebensunterhalt damit, Drogen zu verkaufen. Und zu guter Letzt rammt er Journalisten auch noch eine Messerklinge in die Fresse. Dem Erzähler ist aber die Asozialität bewusst, denn in der Strophe heißt es auch: „Für meine Taten werd ich wiedergebor’n als Regenwurm“. Die Strophe selbst enthält eigentlich viel zu viel Impact, um sie in lediglich 300 Wörtern zu analysieren, wie es Peter Tiede für die BILD tat.

Doch in jener geringen Wortzahl wird sogar noch die zweite Strophe besprochen und auf den Vers mit Eva Hermann eingegangen: „Eva Hermann sieht mich und denkt sich: Was`n Deutscher! Und ich gebe ihr von hinten wie ein Staffelläufer“. Bevor wir aber noch auf den besagten Vers eingehen, muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass es doch die BILD war, die 2007 gegen die ehemalige Nachrichtensprecherin mobil machte und schrieb: „Eva Herman lobt Hitlers Familienpolitik“.

Frau Hermann empfiehlt Bücher mit rechter Ideologie (Finis Germania) und behauptet in ihrem eigenen Buch Wahrheit und ihr Preis, dass Gender-Mainstreaming das größte Umerziehungsprogramm in der Geschichte sei. Bei Johannes B. Kerner sagte sie im Interview: „Man kann [in Deutschland] nicht über den Verlauf [unserer] Geschichte sprechen, ohne in Gefahr zu geraten.“ In ihrem eigenen Blog weißt sie sogar auf Chemtrails hin.

Eva Hermann ist also zumindest eine streitbare Person. Warum BILD mehr als zehn Jahre nach ihren eigenen Angriffen auf die Buchautorin diese nun in Schutz nimmt, wird anhand des Artikels nicht ganz klar.

Warum aber Eva Hermann in dem Vers von K.I.Z. erwähnt wird, ist dagegen schon klarer. Denn dort geht es um die Doppelmoral gegenüber der weiblichen Sexualität: „Ist eine Frau nicht nackt, dann beschmeiß ich sie mit Scheinen. Macht sie sich dann nackt, dann beschmeiß` ich sie mit Steine.“ Eva Hermann dagegen kritisiert regelmäßig die weibliche Emanzipation.

Der Artikel von Peter Tiede ist ein Musterbeispiel für zusammenhangslose Aussagen und eine klassische Fehlinterpretation. Sie bietet sehr viel Hetze und dagegen sehr wenig konstruktive Kritik oder gar eine Lösung an. 





Wie waren aber die Reaktionen auf den BILD-Artikel? K.I.Z. selbst lichtete sich wenige Tage nach dem Konzert auf dem Oktoberfest mit einem Lebkuchen ab. In jener Leckerei waren folgende Worte zu lesen: „Ich ramm die Messerklinge in die Journalistenfresse“. Die Band reagierte also geschlossen auf ihre ganz spezielle Art und Weise. Die Presse dagegen war sehr geteilt. Die FAZ zum Beispiel schrieb, dass man gegen jede Form von Hass Stellung beziehen müsse und suggerierte wenig Toleranz gegenüber dem K.I.Z.-Vers. Einen sehr interessanten Beitrag konnte dagegen die Neue Westfälische präsentieren und schrieb: „Natürlich sind Zeilen wie „…trete deiner Frau in den Bauch, fresse die Fehlgeburt“ krass und für die meisten schwer zu ertragen. Niemand muss sich das anhören. Trotzdem sollte ein Song als Gesamtwerk betrachtet und nicht einzelne Zeilen aus dem Zusammenhang gerissen werden.“

HipHop.de kritisierte dagegen, dass die BILD mit ihrem Artikel den Rechten in die Karten spielen würden: „Damit bemüht sie genau die Strategie, die rechte Trolle seit Tagen nutzen. Dass die Hälfte der gesammelten Spenden an die Familie des Opfers ging, es zu Beginn eine Schweigeminute gab und die Hinterbliebenen die Veranstaltung begrüßten, wurde so oft betont, dass man es schon gezielt ignoriert haben muss, um es noch immer nicht zu wissen. Wir hoffen, dass sich (Boulevard-)Medien sowie Politikerinnen und Politiker bewusst werden, wen sie mit solchen Statements stärken.“ Die junge Freiheit ging in ihrer Kritik wenig auf K.I.Z. ein, sondern viel mehr auf die Inszenierung: „Propagandatechnisch war die große Inszenierung der „Menschlichkeit“ ein voller Erfolg. #Wirsindmehr hat den Toten von Chemnitz in den Hintergrund treten lassen. Genau wie all die anderen Opfer von Migrantengewalt in den letzten Jahren. Die für die herrschende Klasse bedrohlich angewachsene Gruppe der Asylkritiker ist erst einmal wieder zurückgestutzt worden. #Wirsindmehr war die Idealdosis „Opium fürs Volk“ und als großes Ablenkungsmanöver der perfekte Ersatz für die dem Establishment viel zu früh zu Ende gegangene Fußball-WM-Teilnahme der Deutschen.“ 

Wie waren die Reaktionen dazu auf Twitter?

Titelbild: Sophie Hähnel

[ssba]

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