Die „Dschungel-Familie“ : Stimmen einer Ära

Dschungelsafari. Komm mit auf eine aufregende Reise in den Westen Berlins der 70/80er: Eine Generation an Nachtschwärmern, die, egal, ob Skinhead, Punk, Künstler oder Weltstar, alle nur eines wollten: dazugehören.

Das Leben war der Dschungel. (Sabine, Türsteherin)

Der Ort, der für viele nicht nur ein Zuhause war, sondern einen ganzen Lebensabschnitt prägte, existiert heute nur noch in den Erinnerungen der Beteiligten. In West-Berlin war Ende der 70er bis Anfang der 90er Jahre der Dschungel der Hotspot. Wer reinkam, war nicht nur Teil der Szene, sondern auch einer großen Familie.

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Fotograf: Karlheinz Lubojanski

Berlin-Schöneberg – zwischen den Geschäften globaler Markenketten, riesigen Werbeplakaten und Leuchtreklamen fällt kaum einem noch auf, welch architektonische Schönheiten Schöneberg zu bieten hat, geschweige denn, was für Geschichten hier schon geschrieben wurden.

Heute ist der Bezirk bekannt für seine Shoppingstraßen und die endlosen Möglichkeiten des Konsums. Dabei war Schöneberg schon immer ein Bezirk, in dem sich Kultur und Szene die Hand gereicht haben.

In der Nürnberger Straße 51-56 befindet sich heute ein Jazz-Hotel, das an vergangene Zeiten anknüpft, während das Erdgeschoss von dekadenten Einrichtungsgeschäften und Restaurants bewirtschaftet wird, die mit ihren großen Schaufenstern zum Reinschauen einladen. Der 1931 im Bauhausstil fertiggestellte „Tauentzienpalast“ war jedoch ursprünglich als Bürokomplex mit Geschäftsflächen gedacht. Das Quergebäude beheimatete allerdings auch einen Ballsaal namens Femina-Palast, der in den 30er Jahren einer der beliebtesten Tanzsäle Berlins war. Des Weiteren befand sich im Hof ein Varieté-Theater, das seinerzeit namenhafte Schauspieler auf der Bühne zu Gast hatte sowie als große Besonderheit ein Dach besaß, das sich hydraulisch öffnen ließ. Außerdem befanden sich etliche Restaurants, Bars und Kapellen in dem Gebäude, die allesamt die Nachtschwärmer nur so anzogen.

Im Krieg wurde der Ballsaal allerdings zerstört und zeitweilig das Vorderhaus seitens des KaDeWes als provisorische Verkaufsfläche genutzt. Es wurde ein Kinosaal eingebaut und im Keller entstand in den 1950ern die “Badewanne”, ein beliebtes Jazzlokal. So wie sich die Musikstile in den folgenden Jahrzehnten änderten, wechselten sich auch die Mieter der Gewerbeflächen ab und blieben mehr oder weniger nur wenige Jahre im Geschäft. Bis 1978 der Dschungel in die Hausnummer 53 einzog. Der Club verbrachte die ersten 4 Jahre seines Bestehens am Winterfeldtplatz, bevor er bis zum Beginn der 90er die angesagteste Diskothek West-Berlins war.

Ich hab so das Gefühl, das wär mehr so ne Zeitgeschichte gewesen.
Ne ganz wichtige Zeitgeschichte, aber alles hat auch mal ein Ende. (Gast)

Fotografin: Insa Eisenberg

9. November 1989. Die Berliner Mauer fällt. Keine Frage. Mit diesem historischen Großereignis wurde eine ganz neue Ära eingeleitet, die sich nicht nur auf Berlin, nicht nur auf Deutschland, sondern weltweit auswirkte, wie sich Türsteherin Sabine erinnert. Auch sie ist der Meinung, nach der Wende habe sich die Szene verändert und das Interesse am Dschungel sei zurückgegangen. Plötzlich war Berlin viel größer und man kam an Orte, die vorher unerreichbar waren. Ein neuer Reiz wurde geboren. So ganz genau kann uns Sabine jedoch keine Auskunft zu dieser Zeit geben. Sie hat bei Mauerfall schon nicht mehr in Berlin gelebt.

Der ehemalige Kellner und Eveningmanager Reinhard erzählt uns von seinen Erinnerungen an den Dschungel und an die Zeit der Wiedervereinigung:

F: Was war die Faszination des Dschungels?

A: Man bekam dort all das zu sehen, was man an Berlin attraktiv fand.

F: Und was denkst du, warum der Club nach der Wende schließen musste?

A: Weil genau die Zeit vorbei war. Es war ein Westberliner Club. Es war der Ort, der – genau wie ich schon gesagt habe –, das Verdichtete (hatte), was Westberlin ausmachte. Das heißt irgendwie diese Insel eingeschlossen in der Insel Berlin, die umgeben war von der Mauer, die eingeschlossen war in diesem anderen System, in dieser noch noch graueren Welt, bevor das so halb hell wurde da irgendwie dann in Westdeutschland.

Mit dieser neuen Ära traten jedoch Begleiterscheinungen auf, wie das Aufkommen zahlreicher Clubs in Kellergewölben oder Hinterhöfen. Die tatsächliche wiedergewonnene, lang ersehnte Freiheit durch den Fall der Mauer übertrug sich auf die Party- und Nachtclubszene: Hier herrschte nun „absolute Freiheit“, das komprimierte Geschlossene war nicht mehr attraktiv.

Auch erinnert sich eine der Kellnerinnen daran, wie die Einführung von täglichen Eintrittspreisen noch zusätzlich dafür sorgte, dass die Kundschaft des Dschungels zu den angesagten Kellerclubs abgewandert ist, denn diese waren umsonst.

Fotograf: Karlheinz Lubojanski

Es wurde einiges unternommen, um wieder mehr Gäste zu gewinnen, jedoch erfolglos. Der Vorschlag, dem Club neue Räumlichkeiten im Osten zu verschaffen, vielleicht sogar in Zusammenarbeit mit denjenigen, die neu in die Stadt gekommen waren, erhielt keinen Zuspruch.

Fotograf: Karlheinz Lubojanski

Schließlich wurde der Dschungel in ein Restaurant mit abendlicher Tanzmöglichkeit umgewandelt, welches aufgrund einer großen Baustelle seine Laufkundschaft verlor und letztendlich schließen musste.

Doch wie sah es zu Hochzeiten des Dschungels aus? Was machte den Club aus, in dem die Stars ein- und ausgingen? Was den Club, über den man sich heute noch die absurdesten Geschichten erzählt? Was den Club, von dem man sagt, er sei wie eine große Familie gewesen?

Wenn Sabine an ihre Zeit im Dschungel zurückdenkt, kann sie kaum etwas Negatives berichten: Obwohl es nicht die Norm war, eine Frau an der Tür einzusetzen und die meisten Leute eher an männliche Türsteher gewohnt waren, lässt sie keine Zweifel offen, dass es dadurch sogar weniger Probleme gab, da Frauen eine geringere Angriffsfläche böten:

Ner Frau gibste eine mit und denn fällt die um und denn biste drinne. Ich musste viel mit Worten arbeiten. (Sabine, Türsteherin)

Stammgäste hatten im Dschungel Vorrang. Wer dann noch in den Club wollte, wurde nach optischem Eindruck beurteilt. Es war oft nur ein Augenblick Zeit, um zu entscheiden, wer passte und wer nicht. Wenn es ganz voll war, wurden drei neue Gäste reingelassen, sobald drei herauskamen.

Alles in allem erinnert sich Sabine an eine friedliche Zeit ohne Exzesse, Schlägereien oder Razzien. Am wildesten sei es hierbei noch zwischen 1982 und 1984 zugegangen, der Hochzeit der Skinheads.

Teilweise wurde im Dschungel angerufen mit der Drohung, den Laden zu zerlegen. Einmal sei es dann auch zu einem größeren Vorfall gekommen und die Glasscheibe der Tür wurde eingeschlagen. Kleinere Raufereien zwischen den Gästen kamen natürlich immer wieder mal vor.

Besonders in Erinnerung geblieben, ist Sabine der helle Vorderbereich des Clubs sowie die dunkle Tanzfläche und die stylische und moderne Innenarchitektur. So etwas gab es noch nicht und auch wenn der Dschungel oft mit dem Studio 54 in New York verglichen wurde, waren sie in diesem Punkt doch sehr verschieden.

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Fotograf: Karlheinz Lubojanski

Es gab einen festen Stamm unter den ehemaligen Mitarbeitern des Dschungels. Einen Stamm, der familiäres Miteinander bedeutete. Einen Stamm, mit dem man zusammen essen und Großputz veranstalten konnte. Einen Stamm, der für viele ihr Leben ausmachte.

Doch was war nun die Faszination des Dschungels nach außen betrachtet?

Wir bekommen eine klare Antwort: „Alles „neu“ ist immer interessant.“

Auch Reinhard erinnert sich gern an seine Jahre im Dschungel:

Es ging im Wesentlichen dadrum, dass man ne gute Szene dadrin bekam. (Reinhard, Kellner)

Der Club lebte von der Sympathie und Originalität seiner Gäste und folglich auch seiner selbst. Einkaufen konnte sich dort niemand. Es gab zwar die begehrten Mitgliedsmarken, doch diese erhielten nur ausgewählte Leute, vorwiegend Stammgäste.

Im Dschungel konnte man die unterschiedlichsten und interessantesten Leute treffen, denn ein bürgerliches Leben wurde damals eher selten geführt. Dennoch ist es schwer, den damaligen Stil mit unserem heute oft verwendeten Begriff „alternativ“ zu vergleichen, da das, was wir heute als „alternativ“ bezeichnen würden, damals als „normal“ galt.

Künstler, Filmemacher, Leute aus der Modeszene, wie etwa Tabea Blumenschein und Claudia Skoda, Künstler, die nur zu Besuch in Berlin waren. Sie alle gingen in den Dschungel. Diese Leute erlebte man nur, wenn sie sich der Öffentlichkeit stellten und dies geschah vornehmlich an zwei Orten: dem Dschungel und der Paris-Bar. Gleichzeitig herrschte die Angst, etwas zu verpassen. Denn, wenn man etwas verpasste, konnte man keine Legenden schreiben. Sie wurden einem vielleicht erzählt, doch selbst war man nicht dabei.

Fotograf: Karlheinz Lubojanski

Auch Reinhard erinnert sich an die Helligkeit des Clubs, an die Klarheit und Eleganz und daran, dass er Hollywood-Filmen aus den 40er-Jahren ähneln würde.

Fotograf: Karlheinz Lubojanski

Doch hat der Dschungel nicht immer in den taghellen Räumlichkeiten mit der eisernen Wendeltreppe und dem Aquarium existiert. Sein ursprünglicher Standort befand sich am Winterfeldplatz. Dort, im heutigen Slumberland, war anfangs nicht einmal ein Schild über dem Club zu sehen. Man wusste einfach: „Das ist der Dschungel.“

Eine der dortigen Barfrauen berichtet uns, wie preisgünstig der Club dort noch war und wie er sich nach seinem Standortwechsel langsam immer weiter zu einem exklusiven, schicken Club entwickelte, in dem die Lässigkeit verloren ging.

Für die damalige Studentin war der Job, nicht so wie für viele andere, nur ein Nebenverdienst:

Für mich war’s n interessanter Job. Ich war da jetzt nicht täglich.
Ich war da auch nicht so, wie in ner Familie eingespannt. Für mich war’s n Job. (Barfrau)

Diese Seite gab es also auch. Die Seite derjenigen, für die die Arbeit im Dschungel nur ein Job war. Die Seite derjenigen, die nicht Teil der „Dschungel-Familie“ waren und „draußen“ blieben. Draußen in der richtigen Welt, in der sie auch noch ein Leben hatten. Draußen in der so genannten “grauen” Welt.

Es gab die Seite derjenigen Gäste, die draußen blieben. Draußen, fernab der exklusiven Szene. Fernab von allem Glanz und Glitzer, die nur wenige Male im Dschungel feiern gingen.

Fotograf: Karlheinz Lubojanski

Und es gab die Seite derjenigen, die gar nicht hereingelassen wurden, den Dschungel vielleicht nie selbst von innen betrachten konnten, sondern sich immer nur die Nase am Fenster platt drückten und den Geschichten ihrer Freunde, Kollegen, Bekannten lauschen mussten. Geschichten über eine so andere Welt, als ihre eigene – Geschichten, die unvorstellbar schienen – Geschichten über den Dschungel.

[ssba]

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